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Aktuelles zu Scheinselbstständigkeit und Arbeitnehmerüberlassung – was Unternehmen wissen müssen


Die Themen „Scheinselbstständigkeit“ und „Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung“ sind aufgrund der ständigen Zunahme von neuer Rechtsprechung und Gesetzesänderungen absolute Dauerbrenner. Die damit verbundenen Risiken können erhebliche finanzielle und rechtliche Konsequenzen haben. Ob die Vertragsparteien die falsche Einordnung bewusst oder aufgrund einer rechtlichen Fehleinschätzung vorgenommen haben, ist unerheblich. Daher ist es für Unternehmen unerlässlich, die rechtlichen Rahmenbedingungen genau zu kennen und zu beachten.

Scheinselbstständigkeit und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung

Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn eine Person formal als Selbstständiger auftritt, tatsächlich jedoch in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zum Auftraggeber steht. Dies geschieht häufig, wenn ein Selbstständiger weisungsgebunden arbeitet, keine unternehmerischen Risiken trägt und in die Organisation des Auftraggebers eingegliedert ist.

Ein typisches Beispiel sind Honorarärzte im Krankenhaus (BSG vom 04.06.2019 – Az.: B 12 R 11/18 R), die sich aufgrund des dortigen hohen Organisationsgrades in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügen.

Im Gegensatz dazu bezieht sich die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung auf die Situation, in der zwar formal ein Dienst- oder Werkvertrag abgeschlossen wird, die Arbeitnehmer des Dienst-bzw. Werkleisters aber dann doch direkt auf Weisung des Auftraggebers tätig werden und in den Betrieb eingegliedert sind. Dies wird vor allem angenommen, wenn Fremdkräfte in den Büros des Auftraggebers tätig sind, ggf. sogar ein Namensschild, eine E-Mail-Adresse ohne Externen-Kennzeichnung, Visitenkarten und Ähnliches haben und im Org-Chart des Auftraggebers geführt werden. Auch die Beantragung von Urlaub und Meldung von Krankheit spricht für eine Eingliederung. Es liegt dann rechtlich ein „Verleih“ vor, ohne dass die gesetzlichen Vorgaben der Arbeitnehmerüberlassung beachtet wurden. Während es bis zur Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes 2017 möglich war, die Folgen eines „Scheinwerkvertrags“ durch eine vorsorglich eingeholte Arbeitnehmernehmerüberlassungserlaubnis zu umgehen, gilt nun die Kennzeichnungspflicht. Unternehmen sind verpflichtet, die Überlassung von Leiharbeitnehmern ausdrücklich als solche im Vertrag zu kennzeichnen.

Aktuelle Rechtsprechung zur Scheinselbstständigkeit

Die ständige Rechtsprechung der letzten Jahre zeigt eine restriktive Entwicklung bei der Beurteilung des Vorliegens einer Selbstständigkeit, insbesondere in den Berufsfeldern Pflege, IT und Bildung, aber auch bei Piloten. Dabei sind sich insbesondere die höchstrichterlichen Gerichte wie das Bundesarbeitsgericht (BAG), das Bundessozialgericht (BSG) und der Bundesgerichtshof (BGH) einig, dass es nicht auf die Vertragsgestaltung, sondern auf das tatsächlich gelebte Vertragsverhältnis ankommt und mithilfe eines Kriterienkatalogs im Einzelfall beurteilt wird, ob eine Eingliederung in den Betrieb erfolgt, ob arbeitsorganisatorische Weisungen erteilt werden und ob bei Selbstständigen ein unternehmerisches Risiko vorhanden ist.

Dies wird auch am bekannten „Herrenberg“-Urteil des BSG (Urteil vom 28.06.2022 – Az.: B 12 R 3/20 R) zu Lehrkräften deutlich. Darin hat das Gericht entschieden, dass eine Musiklehrerin an einer städtischen Musikschule nicht selbstständig, sondern sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, was zu einer Neubewertung der versicherungsrechtlichen Situation von Lehrkräften geführt hat. Dies stellte eine erhebliche Belastung aufgrund der nachgeforderten Sozialversicherungsbeiträge für Bildungseinrichtungen dar. Um den Einrichtungen mehr Zeit zur Anpassung zu geben, hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung verabschiedet, die bis Ende 2026 eine Übergangsfrist für Schulen und Volkshochschulen vorsieht, um die neuen Anforderungen erfüllen zu können.

In einem weiteren aktuellen Urteil des BSG (Urteil vom 23.04.2024 – Az.: B 12 BA 9/22) wurde die strenge Linie fortgeführt, dass die Eingliederung in den Betrieb und das Fehlen eigener wesentlicher Arbeitsmittel entscheidende Merkmale für die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung sind.

Auch die Einordnung von Gesellschafter-Geschäftsführern, die (jeweils) eine 50-Prozent-Beteiligung an der Gesellschaft innehaben, wird immer wieder unterschiedlich gerichtlich gehandhabt (siehe z. B. Urteil des SG Neubrandenburg vom 10.09.2024 – Az.: S 7 BA 7/23, Urteil des SG Landshut vom 11.01.2024 – Az.: S 1 BA 23/23).

Rechtliche Risiken

Die rechtlichen Risiken und Konsequenzen im Zusammenhang mit Scheinselbstständigkeit und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung sind gravierend und können Unternehmen in erhebliche finanzielle, aber auch strafrechtliche Schwierigkeiten bringen.

Im Arbeitsrecht entsteht ein voll wirksames, rückwirkendes Arbeitsverhältnis, wenn sich eine vermeintliche Selbstständigkeit als abhängiges Beschäftigungsverhältnis erweist. Das bedeutet, dass Unternehmen verpflichtet sind, arbeitsrechtliche Pflichten auch noch nachträglich zu erfüllen. Dem Arbeitnehmer steht neben Ansprüchen auf Beschäftigung, Arbeitsentgelt und Urlaub auch der Kündigungsschutz zu. Bei der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung drohen sowohl dem vermeintlichen Verleiher als auch dem Entleiher Bußgelder. Zudem führt sie zur Unwirksamkeit des zwischen dem Dienstleister und dem Mitarbeiter abgeschlossenen Arbeitsvertrags (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG), sodass im „worst case“ ein Arbeitsverhältnis mit dem beauftragenden Unternehmen fingiert wird (§ 10 Abs. 1 AÜG).

Im Sozialversicherungsrecht hat im Fall einer Scheinselbstständigkeit das beauftragende Unternehmen für bis zu vier Jahre rückwirkend die Sozialversicherungsbeiträge für die in Deutschland lebenden (und tätigen) Beschäftigten zu entrichten, und zwar sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Bei Vorsatz verlängert sich die Frist auf 30 Jahre (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Zudem sind Säumniszuschläge von 1 Prozent pro Monat zu beachten.

Besonders gravierend sind aber die strafrechtlichen Konsequenzen: Das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt ist nach § 266a Strafgesetzbuch für die Geschäftsführung strafbar.

Einen Lichtblick liefert die Rechtsprechung des BGH. War die Auffassung des Arbeitgebers, dass eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, zumindest vertretbar, liegt danach kein Straftatbestand nach § 266a StGB mehr vor (Urteil vom 24.09.2019 – Az.: 1 StR 331/17).

Ein Vorsatz ist laut Gericht nur noch dann anzunehmen, wenn die betreffende Person

  • es zumindest für möglich gehalten hat, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt,
  • deshalb zur Abführung von Beiträgen zur Sozialversicherung verpflichtet ist und
  • die Verletzung dieser Pflichten billigend in Kauf genommen hat.

Grundsätzlich ist nach deutschem Recht davon auszugehen, dass die bisher gezahlten Vergütungen netto gezahlt wurden und daher hochzurechnen sind. Die Beiträge zur Sozialversicherung (einschließlich Arbeitnehmeranteil) fallen also zusätzlich an. Der Arbeitnehmeranteil kann grundsätzlich lediglich für die letzten drei Monate zurückgefordert werden, allerdings nur, wenn der freie Mitarbeiter noch für den Arbeitgeber tätig ist. Daneben sind zusätzlich Säumniszuschläge zu entrichten.

Bei der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung hat dagegen in der Regel der vermeintliche Auftragnehmer die Sozialversicherungsbeträge an die Mitarbeiter bezahlt. Ein Risiko mit den oben genannten Konsequenzen für das beauftragende Unternehmen bleibt jedoch, wenn Sozialversicherungsbeiträge fehlerhaft abgeführt worden sind. Betroffene können mittels Statusfeststellungsverfahren klären lassen, ob im jeweiligen Einzelfall eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt. Derzeit ist das Verfahren jedoch sehr umständlich und zeitaufwendig. Dies liegt insbesondere an den oft langen Bearbeitungszeiten der Anträge und den komplexen rechtlichen Bestimmungen.

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht daher erfreulicherweise vor, das Verfahren durch die Einführung einer Genehmigungsfiktion zu beschleunigen. Diese Genehmigungsfiktion bedeutet, dass Anträge, die von der zuständigen Behörde nicht innerhalb einer bestimmten Frist bearbeitet werden, automatisch als genehmigt gelten. Damit soll das Verfahren schneller, rechtssicherer und transparenter gestaltet werden.

Exkurs: Konzernprivileg

Auch bei konzerninterner Arbeitnehmerüberlassung gilt es nunmehr aufzupassen: Das BAG (Urteil vom 12.11.2024 – Az.: 9 AZR 13/24) hat in einer aktuellen Entscheidung klargestellt, dass das sog. Konzernprivileg (d. h. Überlassung von Arbeitnehmern innerhalb eines Konzerns ohne Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis) auch dann nicht greift, wenn der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt oder beschäftigt wird (entgegen dem Wortlaut des Gesetzes „und“). Das Gericht zeigt damit auf, dass auch die Anforderungen an konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung steigen und das Konzernprivileg danach bereits dann ausgeschlossen ist, wenn nur eine der Voraussetzungen gegeben ist, wenn also der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung entweder eingestellt oder beschäftigt wird.

Fazit und Empfehlung

„Scheinselbstständigkeit“ und „Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung“ sind Themen, die Unternehmen nicht ignorieren dürfen. Erfahrungsgemäß achten insbesondere Betriebsprüfer genau auf die korrekte Beauftragung von Fremdkräften. Auftraggeber sollten daher vorab prüfen, ob die Beauftragung wirklich im Wege eines Dienst- bzw. Werkvertrags erbracht werden kann. In der Praxis helfen Checklisten, Kriterienkataloge und Richtlinien im Umgang mit Fremdkräften. Selbst wenn der erste Prüfungsschritt bejaht werden kann, ist es unumgänglich, durch eine saubere Vertragsgestaltung und eine regelmäßige Überprüfung der Vertragsdurchführung die Risiken einer Scheinselbstständigkeit bzw. verdeckten Arbeitnehmerüberlassung zu minimieren.

Kontaktpersonen: Julia Klein, Franziska Armbrust