Hintergrund der Entscheidung
Der Kläger war vom 20.10.2022 bis zum 31.08.2023 als kaufmännischer und operativer Leiter bei der Beklagten, einem Betreiber von Seniorenzentren, beschäftigt. Ihm stand gemäß § 10 des Arbeitsvertrags ein Dienstfahrzeug der Mittelklasse zu, das er auch privat nutzen durfte. Diese private Nutzung wurde monatlich in den Entgeltabrechnungen berücksichtigt.
Die Widerrufsklausel in § 10 Abs. 2 des Arbeitsvertrags sah vor, dass die private Nutzung des Dienstwagens widerrufen werden kann, wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt ist und der Arbeitgeber den Mitarbeiter berechtigt von seiner Arbeitsleistung freigestellt hat.
Am 08.05.2023 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.08.2023 aus betriebsbedingten Gründen, die auf eine Umorganisation und Neuverteilung der Aufgaben des Klägers zurückzuführen waren. Mit dem Kündigungsschreiben stellte die Beklagte den Kläger unwiderruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei und forderte die Rückgabe des Dienstfahrzeugs bis zum 24.05.2023. Der Kläger kam dieser Forderung am 23.05.2023 nach.
Mit seiner Klage verlangte er sodann eine Nutzungsausfallentschädigung aufgrund des Entzugs des Dienstwagens für die Zeit vom 23.05.2023 bis zum 31.08.2023.
Zusammenfassung der Entscheidung
Das BAG hat entschieden, dass der Kläger Anspruch auf Entschädigung für den Entzug der Privatnutzung des Dienstwagens für die Zeit vom 23. bis zum 31.05.2023 hat. Obwohl die Regelung im Arbeitsvertrag, die der Beklagten das Recht einräumt, die Privatnutzung des Dienstwagens bei berechtigter Freistellung während der Kündigungsfrist zu widerrufen, als wirksam erachtet wurde, habe die Ausübung des Widerrufs zum 24.05.2023 nicht dem Grundsatz des billigen Ermessens entsprochen. Die Beklagte habe die finanziellen Auswirkungen auf den Kläger nicht ausreichend berücksichtigt, weshalb ein Widerruf nur zum Monatsende als verhältnismäßig angesehen werden könne.
Rechtmäßigkeit der Widerrufsklausel
Die Widerrufsklausel im Arbeitsvertrag selbst ist vom BAG als wirksam erachtet worden. Eine solche Widerrufsklausel unterliegt der AGB-Kontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB und muss transparent wie auch verständlich formuliert sein, damit der Arbeitnehmer ein gewisses Maß an Kalkulierbarkeit hat (BAG, Urteil vom 24.01.2017, Az.: 1 AZR 774/14). Die hier geprüfte Widerrufsklausel erfülle diese Anforderungen, da sie klar festlege, dass der Arbeitnehmer im Falle einer berechtigten Freistellung nach einer Kündigung mit dem Entzug der Privatnutzung des Dienstwagens rechnen müsse.
Nach § 308 Nr. 4 BGB ist die Vereinbarung eines Widerrufsrechts zumutbar, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgt, sondern als notwendiges Anpassungsinstrument dient. Der Widerruf der privaten Nutzung eines Dienstwagens im Zusammenhang mit einer wirksamen Freistellung während der Kündigungsfrist ist nach Ansicht des BAG zumutbar, da der Arbeitnehmer bis zum Kündigungstermin keine Arbeitsleistung erbringen müsse und somit keine Dienstfahrten anfielen (BAG, Urteil vom 21.03.2012, Az.: 5 AZR 651/10).
Die Regelung einer Ankündigungs- oder Auslauffrist in der Widerrufsklausel sei keine Voraussetzung für die Wirksamkeit. Es gebe dafür keine gesetzliche Grundlage, jedoch könne eine solche Frist bei der Ausübungskontrolle berücksichtigt werden (BAG, Urteil vom 21.03.2012, Az.: 5 AZR 651/10).
Voraussetzungen für den Widerruf erfüllt
Die Voraussetzungen für den Widerruf der privaten Nutzung des Dienstwagens gemäß der arbeitsvertraglichen Widerrufsklausel waren im vorliegenden Fall erfüllt. Nach § 10 Abs. 2 des Arbeitsvertrags konnte die Privatnutzung widerrufen werden, wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt ist und der Arbeitgeber den Mitarbeiter berechtigt von seiner Arbeitsleistung freigestellt hat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 08.05.2023 und die Kündigung wurde dem Kläger am 12.05.2023 zugestellt. Die Wirksamkeit dieser rechtskräftigen Kündigung ist nach Auffassung des BAG für den Widerruf der privaten Nutzung des Dienstwagens unerheblich, da der Kläger während der Kündigungsfrist auch berechtigt von seiner Arbeitsleistung freigestellt worden sei.
Verhältnismäßigkeit des Widerrufs
Die Ausübung des Widerrufsrechts zum 24.05.2023 habe jedoch nicht billigem Ermessen gemäß § 315 Abs. 1 BGB entsprochen. Die Beklagte habe die beiderseitigen Interessen nicht angemessen berücksichtigt. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG könne der zu versteuernde geldwerte Vorteil nur monatlich und nicht kalendertäglich angesetzt werden. Dies führt nach Auffassung des BAG dazu, dass der Arbeitnehmer bei einer Rückgabe des Dienstwagens innerhalb des laufenden Monats die Steuerlast für den gesamten Monat tragen muss, auch für die Zeit, in der er das Fahrzeug nicht mehr nutzen kann.
Die Einkommensminderung des Klägers sei von der Beklagten nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Tatsache, dass der Kläger das Fahrzeug „rund zwei Wochen“ länger habe nutzen dürfen, reiche nicht aus, um die steuerlichen Nachteile auszugleichen. Hätte die Beklagte das Fahrzeug ohne Auslauffrist sofort zurückgefordert, wäre der finanzielle Nachteil des Klägers noch größer gewesen. Daher überwiege das Interesse des Klägers, den versteuerten Vorteil vollständig nutzen zu können, das Interesse der Beklagten am sofortigen Entzug des Dienstwagens. Im Regelfall werde daher nur ein Widerruf der Privatnutzung zum Monatsende billigem Ermessen entsprechen können.