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Wenn der Insolvenzverwalter dem Vorstand die Vergütung kürzt...


Das Aktienrecht erlaubt es dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft (AG), in einer Krise die Vergütung des Vorstands einseitig herabzusetzen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Befugnis nunmehr für den Fall einer AG im Insolvenzverfahren ausgelegt und der Rechtspraxis einige wichtige Leitlinien für die rechtssichere Ausübung des Herabsetzungsrechts an die Hand gegeben.

In der Krise …

Gerät eine Aktiengesellschaft in die Krise, sind die Organe der Gesellschaft gehalten, unnötige Ausgaben zu vermeiden oder zu reduzieren und Kosten zu senken. Dies gilt auch für die Vergütung des Vorstands: Verschlechtert sich die Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung der Vorstandsbezüge so, dass deren Weitergewährung unbillig für die Gesellschaft wäre, soll der Aufsichtsrat nach § 87 Abs. 2 Satz 1 Aktiengesetz (AktG) die Bezüge auf die angemessene Höhe herabsetzen. So eingängig die Vorschrift formuliert sein mag, so viele Streitfragen hat sie in der juristischen Literatur aufgeworfen: Steht die aktienrechtliche Herabsetzungsbefugnis nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens überhaupt noch zur Verfügung oder wird sie durch andere, insolvenzrechtliche Instrumente überlagert? Falls sie noch zur Verfügung steht, steht sie nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wie zuvor dem Aufsichtsrat zu oder geht sie auf den Insolvenzverwalter über? Und: Ist die Weitergewährung der Vergütung in unverminderter Höhe nur dann unbillig, wenn die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft dem Vorstand zurechenbar ist, oder kann sie auch ohne einen solchen Zurechnungszusammenhang unbillig sein?

… soll gespart werden …

In einer kürzlich ergangenen Entscheidung hat der BGH der Rechtspraxis wertvolle Leitlinien für die rechtssichere Ausübung des Herabsetzungsrechts bereitgestellt (siehe BGH, Urteil vom 22.10.2024 – Az.: II ZR 97/23; ausführlich dazu Göcke/Pfisterer, Herabsetzung der Vorstandsvergütung gem. § 87 Abs. 2 AktG in der Insolvenz – Auswirkungen auf Restrukturierungsfälle, Der Betrieb 2025, S. 644 ff.).

Der Sachverhalt

Dem Fall, der vom BGH zu entscheiden war, lag folgender (verkürzter) Sachverhalt zugrunde (BGH, a. a. O., Rn. 1 bis 4):

Im November 2019 schlossen der Kläger und die betreffende Gesellschaft einen Vorstandsdienstvertrag ab, der neben einer festen Grundvergütung eine variable Vergütungskomponente enthielt. Der Dienstantritt des Klägers war für Januar 2020 vorgesehen. Noch im Dezember 2019 wurde jedoch über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet. Der gerichtlich bestellte Insolvenzverwalter kündigte noch im Dezember 2019 auf insolvenzrechtlicher Grundlage den Vorstandsdienstvertrag mit dem Kläger zu Ende März 2020. Zusätzlich setzte er im Januar 2020 die Vergütung des Klägers basierend auf § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG herab; dabei sollte die variable Vergütungskomponente vollständig entfallen und die feste Grundvergütung auf einen geringeren Betrag reduziert werden. Der Kläger wandte sich gegen diese Herabsetzungsmaßnahmen des Insolvenzverwalters, scheiterte jedoch vor dem Landgericht Darmstadt und dem Oberlandesgericht Frankfurt a. M. Der BGH hingegen hat dem Kläger teilweise recht gegeben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Instanzgerichte zurückverwiesen.

Anwendbarkeit der Herabsetzungsbefugnis in der Insolvenz

Der Kläger argumentierte zunächst, das aktienrechtliche Herabsetzungsrecht stehe ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gar nicht mehr zur Verfügung, sondern werde durch die insolvenzrechtlichen Instrumente – darunter das vom Insolvenzverwalter auch geltend gemachte Kündigungsrecht nach § 113 Insolvenzordnung (InsO) – verdrängt. Dem hat sich der BGH nicht angeschlossen. Er hat vielmehr bestätigt, dass das insolvenzrechtliche Kündigungsrecht das aktienrechtliche Herabsetzungsrecht nicht verdrängt. Denn andernfalls müsste ein etwaiges Ungleichgewicht zumindest während der Kündigungsfrist hingenommen werden. Insofern sei die Gesellschaft ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht schon von vornherein daran gehindert, die Vergütung des Vorstands gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG herabzusetzen (BGH, a. a. O., Rn. 13 und 44).

Zuständigkeit für die Herabsetzung in der Insolvenz

Der Kläger argumentierte weiter, der Insolvenzverwalter sei – ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – für die Ausübung des Herabsetzungsrechts gar nicht zuständig. Denn eine solche Kompetenzverschiebung vom Aufsichtsrat hin zum Insolvenzverwalter griffe grundlegend in die Binnenstruktur der Gesellschaft ein. Auch diese Argumentation hat der BGH zurückgewiesen. Er hat in Erinnerung gerufen, dass es sich bei der Vorstandsvergütung und deren Herabsetzung um eine vertragliche Angelegenheit zwischen der Gesellschaft und dem Vorstandsmitglied handelt; als solche betreffe sie aus Sicht der Gesellschaft das Außenverhältnis und greife nicht in deren Binnenstruktur ein. Insofern gelte der Grundsatz, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter vermögensrechtliche Angelegenheiten der Gesellschaft wahrnehme. Er sei deshalb auch für eine etwaige Herabsetzung der Vorstandsvergütung gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG zuständig (BGH, a. a. O., Rn. 14 bis 17).

Unbilligkeit der (unveränderten) Weitergewährung der Vergütung auch ohne Zurechnung

Schließlich argumentierte der Kläger, dass die unveränderte Weitergewährung der Vergütung im vorliegenden Fall nicht unbillig sein könne, da sich die Lage der Gesellschaft – manifestiert durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens – vorliegend vor seinem Dienstantritt verschlechtert habe. Insofern könne ihm diesbezüglich kein Vorwurf gemacht oder ihm die Verschlechterung anderweitig zugerechnet werden. Eine solche Zurechnung sei aber Grundvoraussetzung für die Ausübung des Herabsetzungsrechts gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG. Auch dieser Argumentation hat sich der BGH verweigert – dem Kläger sodann aber anderweitig Grund zur Freude gegeben: Er hat erklärt (und nahezu schulbuchmäßig hergeleitet), dass eine Zurechnung der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft zum betreffenden Vorstandsmitglied keine Grundvoraussetzung für die Ausübung des Herabsetzungsrecht sei. Vielmehr sei eine etwaige Zurechnung lediglich im Rahmen einer Gesamtabwägung mit zu berücksichtigen, stelle in diesem Zusammenhang allerdings einen wichtigen Abwägungsfaktor dar (BGH, a. a. O., Rn. 21 ff.). Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der BGH im konkreten Fall entschieden, dass die Herabsetzung der Vergütung des Klägers nicht gerechtfertigt ist (BGH, a. a. O., Rn. 43 ff.).

… aber richtig

Für die Rechtspraxis dürfte nach der Entscheidung des BGH nunmehr geklärt sein, dass

  • die Herabsetzungsbefugnis gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens noch zur Verfügung steht,
  • die Herabsetzungsbefugnis nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergeht und
  • die Zurechnung der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft zum betreffenden Vorstandsmitglied zwar keine Grundvoraussetzung für eine Herabsetzung, aber im Rahmen der Gesamtabwägung als wichtiger Faktor zu berücksichtigen ist.

Ausblick

Diese Klarstellungen bieten der Rechtspraxis wichtige Leitlinien für die rechtssichere Ausübung des Herabsetzungsrechts, wenngleich noch immer Fragen und Themen rund um § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG offenbleiben. In jedem Falle dürfte es sich für das das Herabsetzungsrecht ausübende Organ – sei es nun der Aufsichtsrat oder (nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens) der Insolvenzverwalter – empfehlen, die Entscheidung über die Herabsetzung der Vergütung sorgfältig zu dokumentieren. Dabei sollte ein besonderes Augenmerk auf die in diesem Zusammenhang anzustellende Gesamtabwägung und die dabei zu berücksichtigenden Faktoren gelegt werden, insbesondere darauf, ob dem Vorstandsmitglied die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft zugerechnet werden kann.