Hintergrund
Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der bis Ende November 2019 in einer Position mit Führungsverantwortung beschäftigt war. Er hatte gemäß seinem Arbeitsvertrag einen Anspruch auf die Zahlung einer zusätzlichen variablen Vergütung. Die Höhe des variablen Gehaltsbestandteils richtete sich dabei nach der Zielerreichung des Klägers. Die Betriebsvereinbarung sah vor, dass bis zum 1. März eines Jahres Ziele durch die Arbeitgeberin vorgegeben werden müssen. Diese Zielvorgabe setzte sich zu 70 Prozent aus Unternehmenszielen und zu 30 Prozent aus individuellen Zielen zusammen. Ende September 2019 teilte die Arbeitgeberin dem Kläger lediglich mit, sie gehe für ihn von einem Zielerreichungsgrad von 142 Prozent für seine persönlichen Ziele aus. Konkrete Vorgaben zu den Unternehmenszielen erhielt der Kläger erst am 15.10.2019, Vorgaben zu individuellen Zielen blieben ganz aus.
Der Kläger forderte Schadensersatz von der Arbeitgeberin, da sie die Unternehmensziele für das Jahr 2019 verspätet und die individuellen Ziele gar nicht vorgegeben habe. Er argumentierte, ihm stehe deshalb ein Schadensersatz in Höhe von rund 16.000 EUR zu, weil er rechtzeitig vorgegebene, billigem Ermessen entsprechende Unternehmensziele zu 100 Prozent und individuelle Ziele entsprechend zu 142 Prozent erreicht hätte.
Die Beklagte argumentierte, die Zielvorgabe sei rechtzeitig erfolgt und habe den Grundsätzen der Billigkeit entsprochen, sodass ein Schadensersatzanspruch dem Grunde und der Höhe nach ausgeschlossen sei.
Das Arbeitsgericht Köln wiess die Klage ab, das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) gab der Klage statt. Das BAG hat schließlich das Urteil des LAG bestätigt.
Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung auch bei einseitigen Zielvorgaben
Bisher hatte das BAG offengelassen, welche Folgen es hat, wenn der Arbeitgeber zur einseitigen Zielvorgabe verpflichtet ist, jedoch keine Zielvorgaben macht oder erst sehr spät im relevanten Zielzeitraum. Für beiderseitige Zielvereinbarungen hat das BAG bereits mehrfach bestätigt, dass jedenfalls nach Ablauf der Zielperiode eine Festlegung von Zielen unmöglich wird und der Arbeitnehmer Schadensersatz verlangen kann.
Das BAG bejaht nun einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers auch für unterbliebene und verspätete (einseitige) Zielvorgaben. Der Arbeitgeber habe seine Verpflichtung aus der Betriebsvereinbarung, bis zum 1. März die Zielvorgaben festzulegen, schuldhaft verletzt. Die Unternehmensziele seien erst verbindlich mitgeteilt worden, nachdem bereits etwa drei Viertel der Zielperiode abgelaufen waren, individuelle Ziele fehlten ganz.
Motivations- und Anreizfunktion
Zielvorgaben unterliegen zwar der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB und sind grundsätzlich durch Urteil zu treffen, wenn sie unterbleiben. Nach Ansicht des BAG gilt jedoch sowohl bei Zielvorgaben als auch bei Zielvereinbarungen derselbe Grundsatz, nämlich dass eine Festlegung der Ziele nach Ablauf der Zielperiode nicht mehr möglich ist, da der Zweck – eine Motivation und einen Anreiz zur Leistung für den Arbeitnehmer zu schaffen – nicht mehr erreicht werden kann. Das gelte nicht nur nach Ablauf der Zielperiode, sondern auch schon dann, wenn die Zielvorgabe so spät im Jahr erfolge, dass sie keinen – sinnvollen – Anreiz mehr bieten könne. Die verspätete Zielvorgabe sei wie eine nicht erfolgte Zielvorgabe zu behandeln. Eine gerichtliche Leistungsbestimmung der Ziele nach § 315 Abs. 3 BGB komme in dieser Konstellation daher nicht in Betracht.
Höhe des Schadens
Die Höhe des Schadens ermittelte das BAG im Wege der Schätzung (§ 287 Abs. 1 ZPO). Es ging dabei von der für den Fall der Zielerreichung zugesagten variablen Vergütung aus und nahm an, dass der Kläger die Unternehmensziele zu 100 Prozent und die individuellen Ziele zu 142 Prozent erreicht hätte, was der durchschnittlichen Zielerreichung aller vergleichbaren Mitarbeitenden in den vergangenen drei Jahren entsprach. Besondere Umstände, die diese Annahme ausschließen würden, habe der Arbeitgeber nicht vorgetragen.
Kein Mitverschulden des Arbeitnehmers
Das BAG stellte auch klar, dass der Kläger sich kein anspruchsminderndes Mitverschulden anrechnen lassen muss. Bei einer unterlassenen oder verspäteten Zielvorgabe des Arbeitgebers scheide ein Mitverschulden des Arbeitnehmers wegen fehlender Mitwirkung regelmäßig aus, weil allein der Arbeitgeber die Initiativlast für die Vorgabe der Ziele trage.