AGG-Reform
Nach Auffassung der Koalitionsparteien sind Benachteiligungen und Diskriminierungen Gift für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Daher soll der Diskriminierungsschutz gestärkt und verbessert werden.
Beschäftigung von Fachkräften aus dem Ausland
Um dem massiven Fachkräftemangel entgegenzuwirken und mehr Fachkräfte zu gewinnen, sollen die Maßnahmen bei der Einwanderungspolitik erleichtert werden. Die Einwanderung ausländischer Fachkräfte soll durch den Abbau von Bürokratie und die Beschleunigung der Digitalisierung vereinfacht werden. Zudem sollen Berufsqualifikationen aus dem Ausland schneller anerkannt werden. Hierfür soll eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung – die „Work-and-Stay-Agentur“ – mit einer zentralen IT-Plattform als einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte geschaffen werden. Eine bessere Arbeitgeberbeteiligung und ein einheitliches Anerkennungsverfahren innerhalb von acht Wochen inklusive Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung sollen die Fachkräfteeinwanderung verbessern. Hürden für Flüchtlinge bei der Beschäftigungsaufnahme sollen abgebaut und Arbeitsverbote auf maximal drei Monate reduziert werden. Dies gilt nicht für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten, Dublin-Fälle (Fälle, in denen nach der Dublin-III-Verordnung ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist als der, in dem der Asylsuchende den Asylantrag gestellt hat) oder Personen, die das Asylrecht offenkundig missbrauchen. Zudem soll die schnelle und nachhaltige Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt mit einer Verbindung aus früherer Arbeitserfahrung, berufsbegleitendem Spracherwerb und berufsbegleitender Weiterbildung/Qualifizierung dauerhaft vorangebracht werden.
Digitalisierung
Die Koalitionspartner möchten auch in der Arbeitswelt die Digitalisierung vorantreiben. Online-Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen sollen als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten ermöglicht werden. Zudem soll die Option, digitale Betriebsratswahlen durchzuführen, im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden. Das Zugangsrecht der Gewerkschaften in die Betriebe soll zukünftig um einen digitalen Zugang ergänzt werden, der ihren analogen Rechten entspricht (siehe hierzu auch den Beitrag vom 12.03.2025: Kein digitales Zugangsrecht einer Gewerkschaft zum Betrieb).
Dies alles ist nicht völlig neu: Nach § 129 BetrVG waren digitale Betriebsversammlungen bereits während der Corona-Pandemie zulässig. Ein digitales Zugangsrecht von Gewerkschaften in die Betriebe war bereits im Referentenentwurf der Ampel für ein Bundestariftreuegesetz enthalten, das jedoch scheiterte. Auch Online-Wahlen zum Betriebsrat waren schon unter der Ampel-Regierung geplant, wurden aber letztlich nicht umgesetzt.
Mindestlohn
Die Koalitionsparteien „stehen zum gesetzlichen Mindestlohn“. Dieser soll erwartungsgemäß auch weiterhin von einer starken, unabhängigen Mindestlohnkommission festgelegt werden und sich für die weitere Entwicklung des Mindestlohns im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 EUR im Jahr 2026 erreichbar.“
Obwohl die Koalitionspartner hinsichtlich der Entwicklung und Festlegung des Mindestlohns ausdrücklich auf die Mindestlohnkommission verweisen, sieht der Koalitionsvertrag dennoch eine konkrete Empfehlung zu dessen Erhöhung vor. Allerdings relativierte der voraussichtlich zukünftige Bundeskanzler Friedrich Merz die Aussage zur Erhöhung des Mindestlohns auf 15 EUR im Jahr 2026 in einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ vom 13.04.2025: „Das haben wir so nicht vereinbart. Wir haben verabredet, dass wir davon ausgehen, dass die Mindestlohnkommission in diese Richtung denkt. Es wird keinen gesetzlichen Automatismus geben.“ SPD-Generalsekretär Matthias Miersch äußerte sich hierzu in einem Podcast des Portals „Table Briefings“ vom 23.04.2025: „Ich gehe davon aus, dass diese Kommission tatsächlich zu diesem Ergebnis [von 15 EUR] kommt.“ Ansonsten könne man nach seiner Auffassung gesetzgeberisch tätig werden.
Eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 EUR im Jahr 2026 wird insbesondere für Unternehmen im Niedriglohnbereich eine Herausforderung und könnte damit dem erklärten Ziel des Wirtschaftswachstums entgegenstehen.
Neugestaltung der wöchentlichen Arbeitszeit
Die Koalitionsparteien sind bestrebt, flexiblere Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen. So soll im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit geschaffen werden – „auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Arbeitgeber und Arbeitnehmende wären dadurch freier in der Aufteilung der wöchentlichen Arbeitszeit. Das Vorhaben soll in Absprache mit Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgestaltet werden. Die hohen Standards im Arbeitsschutz sind allerdings weiterhin zu wahren und (tägliche) Ruhezeiten nach wie vor zu beachten. Die elektronische Erfassung von Arbeitszeiten soll unbürokratisch erfolgen und dabei für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregeln vorsehen. Die Vertrauensarbeitszeit soll auch ohne Zeiterfassung im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich sein. Es bleibt insoweit abzuwarten, ob und in welcher Weise das in der Praxis häufig genutzte Modell der klassischen Vertrauensarbeitszeit EU-rechtskonform ohne eine Erfassung der Arbeitszeit umgesetzt werden kann.
Registrierung im Rahmen der EU-Entsenderichtlinie
Die bei manchen Dienstreisen und Entsendungen erforderliche Registrierung nach der EU-Entsenderichtlinie soll durch die Reform der eDeclaration technisch erleichtert und mit der A1-Bescheinigung gebündelt werden. Durch diese Maßnahmen würde der Verwaltungsaufwand für Unternehmen deutlich verringert und damit von den jeweiligen Global-Mobility-Verantwortlichen sicherlich begrüßt werden.
Steuerliche Anreize für mehr Arbeit
Die Koalitionspartner schaffen im Koalitionsvertrag steuerliche Anreize für mehr Arbeit. So sollen Zuschläge für Mehrarbeit steuerfrei sein, wenn sie über die Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten hinausgehen. Vollzeit ist aber nicht gleich Vollzeit: Der Maßstab für Vollzeitarbeit bei tariflich festgelegter Wochenarbeitszeit liegt bei mindestens 34 Stunden und bei nicht tariflich festgelegten oder vereinbarten Arbeitszeiten bei 40 Stunden. Eine maßgebliche Wochenarbeitszeit von 40 Stunden soll offenbar auch dann gelten, wenn insbesondere arbeitsvertraglich eine geringere Wochenstundenzahl als Vollzeit festgelegt wurde. Gilt beispielsweise in einem Betrieb eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden, müssten die Zuschläge für die ersten beiden Überstunden folglich noch versteuert werden, ab der dritten Überstunde dann nicht mehr. Bei einer tariflich festgelegten Wochenarbeitszeit von 38 Stunden fielen dagegen bereits ab der ersten Überstunde keine Steuern auf Mehrarbeitszuschläge an. Teilzeitbeschäftigte werden von dieser steuerlichen Begünstigung nicht erfasst. Dies könnte mit Blick auf die Rechtsprechung von EuGH und BAG eine Ungleichbehandlung und damit eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten darstellen. Ob eine solche in dieser Form gerechtfertigt ist, wird im Zweifel gerichtlich geklärt werden müssen.
Darüber hinaus soll ein neuer steuerlicher Anreiz zur Ausweitung der Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten geschaffen werden: Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, soll diese Prämie steuerlich begünstigt werden.
Zudem sollen für Beschäftigte auch nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters Anreize zur Arbeit geschaffen werden. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht hat und freiwillig weiterarbeitet, soll sein Gehalt bis zu 2.000 EUR im Monat steuerfrei erhalten. Die Weiterarbeit beim bisherigen Arbeitgeber soll dabei auch befristet möglich sein; das Vorbeschäftigungsverbot im Rahmen der sachgrundlosen Befristung wird dafür aufgehoben.
Schließlich soll die Mitgliedschaft in Gewerkschaften durch steuerliche Anreize für Mitglieder attraktiver gemacht werden.
Tarifbindung
Die Koalitionsparteien streben eine höhere Tarifbindung an: „Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben.“ Deswegen wird die Gesetzesinitiative zum Bundestariftreuegesetz wieder aufgegriffen. Nach dem Gesetzentwurf der vorherigen Ampel-Regierung vom 28.11.2024 dürfen öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die tarifvertragliche Arbeitsbedingungen einhalten und ihren Beschäftigten Löhne in Höhe des üblichen Branchentarifs bezahlen. Laut Koalitionsvertrag soll das Bundestariftreuegesetz für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 EUR und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 EUR gelten.
Umsetzung der EU-Transparenzrichtlinie in nationales Recht
Ziel der EU-Transparenzrichtlinie ist die Bekämpfung der Lohndiskriminierung und geschlechtsspezifischer Lohnunterschiede. Die Richtlinie sollte bereits durch die Ampel-Regierung in nationales Recht umgesetzt werden. Gemäß neuem Koalitionsvertrag soll nun eine entsprechende Kommission bis Ende 2025 Vorschläge zur Umsetzung machen. Dies ist auch dringend erforderlich, da die Richtlinie bis Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt werden muss.
Weitere Maßnahmen
Die Koalitionspartner haben sich auch auf verschiedene Maßnahmen zur Entbürokratisierung verständigt. So sollen zum Beispiel nach dem BEG IV verbliebene Schriftformerfordernisse (Bürokratieentlastungsgesetz IV: Geplante Erleichterungen bei Formerfordernissen, Aufbewahrungs- und Meldepflichten) insbesondere im Arbeitsrecht, abgebaut werden, etwa bei Befristungen von Arbeitsverträgen. Weiterhin der Schriftform unterliegen jedoch Kündigungen und Aufhebungsverträge.
Zudem soll im Rahmen eines nationalen „Sofortprogramms für den Bürokratierückbau“ bis Ende des Jahres 2025 insbesondere mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen die Verpflichtung zur Bestellung von Betriebsbeauftragten abgeschafft und der Schulungs-, Weiterbildungs- und Dokumentationsaufwand signifikant reduziert werden.
An der bürokratieabbauenden Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung soll festgehalten werden. Sie soll aber so verändert werden, dass Missbrauch zukünftig ausgeschlossen ist. So soll zum Beispiel eine Online-Krankschreibung über private Online-Plattformen ausgeschlossen werden.
Die Koalitionsparteien wollen die Prävention vor psychischen Erkrankungen stärken und streben auch eine Verbesserung des europäischen Arbeitsschutzstandards an, insbesondere für stark belastete Berufsgruppen wie Berufskraftfahrer. Auch die Arbeitsbedingungen in der Kurier-, Express- und Paketdienstbranche sollen verbessert werden.
Menschen mit Behinderung sollen ihr Recht auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt verwirklichen können. In diesem Zusammenhang soll die Aufnahme einer Arbeit für Menschen mit Behinderung verstärkt gefördert werden. Die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) sollen mit Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation und der Vermittlungstätigkeit der Bundesagentur für Arbeit vernetzt und die Schwerbehindertenvertretungen gestärkt werden.
Die betriebliche Altersversorgung soll gestärkt und weiter vorangetrieben werden, insbesondere auch für kleine und mittlere Unternehmen und für Geringverdiener. Hierzu soll die betriebliche Altersversorgung vereinfacht und entbürokratisiert werden. Außerdem planen die Koalitionspartner, die Portabilität der betrieblichen Altersversorgung bei einem Arbeitgeberwechsel zu erhöhen.
Personen, die sich künftig selbstständig machen und keinem obligatorischen Alterssicherungssystem zugeordnet sind, werden in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen. Andere Formen der Altersvorsorge sollen aber weiterhin möglich bleiben.
Ein Mutterschutz für Selbstständige soll analog den Mutterschutzfristen für Beschäftigte eingeführt werden.
Scheinselbstständigkeit soll verhindert werden. Hierzu soll das Statusfeststellungsverfahren, in dem geklärt wird, ob eine selbstständige Beschäftigung oder ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, reformiert und schneller, rechtssicherer und transparenter gemacht werden. Zur Beschleunigung soll eine Genehmigungsfiktion eingeführt werden, die im Zuge der Reform der Alterssicherung für Selbstständige umgesetzt werden soll.