Close up of code running on laptop screen in data center

Steuerliches Verwertungsverbot bei sichergestelltem Datenträger


Ein finanzgerichtlicher Streit drehte sich vordergründig um die Frage, wo der Ort der Geschäftsleitung einer auf Zypern registrierten Ltd. war. Ein Betriebsprüfer wertete dafür eine sichergestellte Festplatte der Staatsanwaltschaft aus. Zu Recht? Der Bundesfinanzhof (BFH) kam jedenfalls zu einer bemerkenswerten Entscheidung, die über den entschiedenen Einzelfall hinaus hohe praktische Relevanz hat.

I. Ausgangspunkt „normale“ Betriebsprüfung

Ausgangspunkt des steuerlichen Streitverfahrens war eine beim Steuerpflichtigen durchgeführte „normale“ Betriebsprüfung. Nach Ansicht des Betriebsprüfers war zweifelhaft, ob sich der Ort der Geschäftsleitung einer auf Zypern registrierten Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer Ltd. in den Jahren 2009 bis 2012 tatsächlich auf Zypern oder möglicherweise in Deutschland befand. Gesellschafterin der Ltd. war eine deutsche GmbH, deren Gesellschafter ihrerseits im Inland ansässig waren und ihre Beteiligung gemeinsam im Betriebsvermögen einer OHG hielten. Als Geschäftsführer („Director“) der Ltd. war ein auf Zypern ansässiger deutscher Staatsbürger registriert, der ein solches Amt auch bei weiteren zypriotischen Gesellschaften ausübte. Er vermietete der Ltd. ab 2010 zudem über eine eigene Gesellschaft einen mit Büromöbeln, Computersystemen, Telefon und Faxgerät ausgestatteten Büroraum, in dem unter anderem die Buchhaltung der Ltd. erstellt wurde. Im Dezember 2012 veräußerte die Ltd. Verlagsrechte und Abonnementbestände zurück an ihre Gesellschafterin, die deutsche GmbH, und stellte anschließend ihren Geschäftsbetrieb ein.

Der für die Betriebsprüfung der deutschen GmbH zuständige Betriebsprüfer erlangte Kenntnis über ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen die Gesellschafter der GmbH wegen Vergehens nach dem Wertpapierhandelsgesetz. Auf seine Bitte um Amtshilfe hin übersandte ihm die Staatsanwaltschaft im Laufe des Jahres 2014 eine Reihe von Beweismitteln. Im November 2014 erhielt der Prüfer dann eine Festplatte mit elektronischen Daten der OHG, die im Rahmen einer Durchsuchung im Februar 2012 darauf gesichert wurden. Auf der Festplatte befanden sich für den Prüfer hochinteressante Daten, u. a. über den E-Mail-Verkehr zwischen den Gesellschaftern der GmbH und dem Director der Ltd. Auf dieser Grundlage gelangte der Prüfer zu der Erkenntnis, dass das Tagesgeschäft der Ltd. in den Streitjahren 2009 bis 2012 von Deutschland aus geleitet worden sei und der Director keine maßgeblichen Kontroll- und Leitungsfunktionen ausgeübt habe. Das zuständige Finanzamt ging daher von einer unbeschränkten Körperschaft- und Gewerbesteuerpflicht der Ltd. in Deutschland aus.

II. Auswertung der Festplatte zulässig?

Die seitens der Ltd. gegen die steuerliche Verwertung der Daten geführte Rechtsbehelfs- und Klageverfahren hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg wies die Klage mit Urteil vom 04.08.2022 (Az.: 3 K 2127/18) als unbegründet ab und ließ die Revision gegen das Urteil nicht zu. Die durch den Steuerpflichtigen dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hatte allerdings Erfolg.

1. Grundsätzlich weite Verwendungserlaubnis im Besteuerungsverfahren

Im Grundsatz gab der BFH dem Finanzamt und dem FG Baden-Württemberg noch recht. Erkenntnisse, die die Finanzbehörde oder die Staatsanwaltschaft rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, dürfen prinzipiell im Besteuerungsverfahren verwendet werden (§ 393 Abs. 3 Satz 1 AO). Diese im Ergebnis weite Verwendungserlaubnis findet grundsätzlich Anwendung auf den auf der Festplatte gespeicherten E-Mail-Verkehr. Die während einer Durchsuchung gesicherten Kommunikationsdaten unterliegen nicht dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG, sondern werden lediglich durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) und gegebenenfalls durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützt. Die weite Verwendungserlaubnis gilt auch für solche Erkenntnisse, die in Verfahren wegen Nichtsteuerstraftaten wie vorliegend wegen Verstößen gegen das Wertpapierhandelsgesetz erlangt worden sind. In grundsätzlicher Hinsicht bestehen somit keine Bedenken, den E-Mail-Verkehr steuerlich im Rahmen der Außenprüfung zu verwenden.

2. Zügige Auswertung der sichergestellten Daten notwendig

Der Auswertung der Festplatte für Zwecke des Besteuerungsverfahrens stehe nach Auffassung des BFH jedoch entgegen, dass die Staatsanwaltschaft vor der Übersendung der Festplatte an den Prüfer keine sog. Durchsicht nach § 110 StPO vorgenommen und die für „ihre“ strafrechtliche Ermittlung nach dem Wertpapierhandelsgesetz nicht relevanten Daten von der Übermittlung an den Prüfer nicht ausgenommen habe. Die der Staatsanwaltschaft zugewiesene Aufgabe der Durchsicht von Papieren (§ 110 Abs. 1 StPO) und elektronischen Speichermedien (§ 110 Abs. 3 StPO) bedeute eine konkrete Kenntnisnahme des Inhalts der bei der Durchsuchung vorgefundenen Papiere oder Speichermedien zur Prüfung, ob sie als Beweismittel in Betracht kommen. Lediglich die verfahrensrelevanten und verwertbaren Informationen sollen für eine dauerhafte und vertiefte Auswertung verfügbar bleiben. Die Durchsicht bezwecke, übermäßige und auf Dauer angelegte Datenerhebungen zu vermeiden, und vermindere dadurch die Intensität des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung für den Betroffenen. Soweit eine Unterscheidung der Daten nach ihrer potenziellen Verfahrenserheblichkeit vorgenommen werden könne, sei die Möglichkeit einer Trennung der potenziell erheblichen von den restlichen Daten zu prüfen. In Betracht komme hierbei neben dem Erstellen einer (Teil-)Kopie hinsichtlich der verfahrenserheblichen Daten das Löschen oder die Herausgabe der für das Verfahren irrelevanten Daten an den Gewahrsamsinhaber. Für die zulässige Dauer der Durchsicht gebe es keine festen Zeitgrenzen. Diese müsse allerdings zügig durchgeführt und in angemessener Zeit beendet sein. Eine Dauer von – wie im vorliegenden Fall – 2 ¾ Jahren werde jedenfalls als unangemessen lang beurteilt.

Eine steuerliche Verwendung der Daten sei auch nicht deshalb möglich gewesen, weil die auf der Festplatte befindlichen Daten auf der Grundlage des Durchsuchungsbeschlusses beschlagnahmt worden und deshalb eine Durchsicht nach § 110 StPO nicht mehr notwendig gewesen sei. Im Durchsuchungsbeschluss waren die Beweismittel, wie üblich, lediglich abstrakt der Gattung nach bezeichnet worden („Computer […] oder Speichermedien“). In einem solchen Fall habe die in einem Durchsuchungsbeschluss enthaltene Beschlagnahmeanordnung lediglich die Bedeutung einer Richtlinie für die Durchsuchung und sei noch keine wirksame (finale) Beschlagnahmeanordnung.

3. Eingriff in die Grundrechte des Steuerpflichtigen

Die ohne Kenntnis und Zustimmung der OHG vorgenommene Übersendung der von der Staatsanwaltschaft nicht durchgesehenen bzw. nicht „gefilterten" Festplatte an die steuerliche Außenprüfung stellt nach Auffassung des BFH einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Bei der insoweit notwendigen Abwägung des Grundrechtsschutzes gegenüber der gleichmäßigen Besteuerung sei zu berücksichtigen, dass das Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Wertpapierhandelsgesetz keinen erkennbaren inhaltlichen Bezug zur Ertragsbesteuerung der Ltd. aufweise. Zudem habe das Besteuerungsverfahren im Zeitpunkt der Übersendung der Festplatte noch nicht zu einem strafrechtlichen Aufgriff geführt, weswegen dem Betriebsprüfer nur die im Rahmen der steuerlichen Außenprüfung üblichen Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden.

Die Überlassung der zu steuerfremden strafprozessualen Zwecken sichergestellten Festplatte in ungefiltertem Zustand an den Prüfer, damit dieser den kompletten Festplatteninhalt auf etwaige für die Besteuerungsverfahren relevante Daten hin auswerten könne, vermittle dem Prüfer somit de facto nach dem Gesetz nicht vorgesehene Zugriffsmöglichkeiten in die grundrechtlich geschützte Sphäre des Steuerpflichtigen. Im Ergebnis habe sich der BFH damit für ein qualifiziertes Verwertungsverbot der elektronischen Daten ausgesprochen und die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung – allerdings ohne Verwendung der E-Mail-Daten – an das FG Baden-Württemberg zurückverwiesen.

III. Übertragung auf andere Konstellationen?

Die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen und die damit verbundene Sicherstellung und Beschlagnahme von Beweismitteln ist wegen des intensiven Eingriffs in die Grundrechte des Betroffenen von einem hohen Maß an Rechtsförmlichkeit geprägt. Soweit es um die Frage geht, ob und in welchem Umfang Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft im Besteuerungsverfahren verwendet werden dürfen, regelt § 393 Abs. 3 Satz 1 AO im Grundsatz sehr klar, dass es sich um rechtmäßig gewonnene Erkenntnisse handeln muss.

Dieser Grundsatz bedeutet allerdings im Umkehrschluss nicht, dass jedweder Verfahrensfehler, der der Staatsanwaltschaft bei der Gewinnung der Erkenntnisse unterläuft, eine steuerliche Unverwertbarkeit der Beweismittel nach sich zieht. Allenfalls bei einer Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten Bereichs des Steuerpflichtigen kann eine steuerliche Verwendbarkeit ausgeschlossen sein. Ein Blick in die Rechtsprechung zeigt jedoch, dass die Annahme eines steuerlichen Verwendungs- oder Verwertungsverbots eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Verstößt etwa ein Betriebsprüfer bei einer straf- oder bußgeldrechtlichen Verdachtslage während seiner Prüfung gegen seine Hinweispflichten nach § 393 Abs. 1 Satz 4 AO bzw. nach § 10 der Betriebsprüfungsordnung und täuscht er damit den Steuerpflichtigen über den Umfang seiner Mitwirkungspflichten, soll daraus zwar ein strafrechtliches, nicht jedoch ein steuerliches Verwertungsverbot resultieren (BFH, Beschluss vom 30.05.2008 – Az.: V B 76/07). Auch soll ein rechtswidriger Durchsuchungsbeschluss nur dann zu einem Beweisverwertungsverbot führen, wenn die zur Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmaßnahme führenden Verfahrensverstöße schwerwiegend waren oder bewusst oder willkürlich begangen wurden (BFH, Urteil vom 04.12.2012 – Az.: VIII R 5/10). Diese eher restriktive Sicht folgt dem Grundgedanken, dass bei der insoweit notwendigen Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffs (Mittel-Zweck-Relation) das Interesse an einer Gleichmäßigkeit der Besteuerung regelmäßig höher zu bewerten ist als die individuelle Beeinträchtigung der Grundrechte des Betroffenen.

Umso bemerkenswerter ist die vorliegende Entscheidung des BFH, wonach die Beeinträchtigung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung des Steuerpflichtigen das Interesse an einer gleichmäßigen Besteuerung bzw. einer dafür notwendigen Sachaufklärung durch die Betriebsprüfung überwiegt. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt das Gericht zum einen den Umstand, dass die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft aus einem Verfahren wegen Verstößen gegen das Wertpapierhandelsgesetz und damit einer Nichtsteuerstraftat stammen. Zum anderen wird bei der Abwägung auch darauf verwiesen, dass die Amtshilfe der Staatsanwaltschaft im laufenden „normalen“ Prüfungsverfahren einer steuerlichen Außenprüfung erfolgte und seitens des Prüfers noch keine straf- oder bußgeldrechtlichen Maßnahmen initiiert wurden.

Die spannende Frage in diesem Zusammenhang ist sicherlich, ob daraus für andere Sachverhaltskonstellationen folgt, dass auch bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen Steuerdelikten die Prüfung der Verhältnismäßigkeit eher zugunsten der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und damit einer Verwendung der Erkenntnisse ausfällt. Dies würde bedeuten, dass die Finanzverwaltung bei Ermittlungen in einem Steuerstrafverfahren sichergestellte Daten quasi uneingeschränkt auswerten kann, um insbesondere anderweitige Verstöße gegen Steuergesetze aufzugreifen und daraus resultierende Mehrsteuern festzusetzen.

Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten, weil bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sämtliche Aspekte des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen und auf ihre Grundrechtsrelevanz hin zu prüfen sind. Allerdings sind bei Ermittlungen wegen Steuerdelikten häufig Sachverhaltskonstellationen denkbar, bei denen das Grundrecht des Steuerpflichtigen auf informationelle Selbstbestimmung durch eine übermäßige Datensammlung in einer Weise beeinträchtigt wird, dass das staatliche Interesse an einer gleichmäßigen Besteuerung in der Abwägung zurücktreten muss. Der BFH arbeitet diesbezüglich in seiner Entscheidung heraus, dass Daten nicht über längere Zeit ungenutzt – sozusagen „auf Halde“ – ohne Durchsicht verwahrt werden dürfen, sondern gem. § 110 StPO in angemessener Zeit auf ihre Beweiserheblichkeit hin zu prüfen sind. Bei diesem Kriterium spielt es keine Rolle, ob die Daten in einem Ermittlungsverfahren wegen eines Steuerdelikts oder eines Nichtsteuerdelikts gewonnen wurden. Je größer die sichergestellte Datenmenge ist, desto relevanter dürfte dieser Aspekt zu gewichten sein. Dies gilt insbesondere für elektronische Daten auf Festplatten von Computern, weil diese zumeist einen enormen Umfang haben und sämtliche Bereiche des beruflichen (und ggf. sogar privaten) Lebens abdecken können. Es dürfte daher unter Berücksichtigung der vom BFH aufgestellten Grundsätze z. B. nicht zulässig sein, in einem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen der Verkürzung von Körperschaftsteuer gewonnene Daten über einen längeren Zeitraum schlicht zu verwahren und später im Rahmen einer Lohnsteueraußenprüfung zulasten der Gesellschaft auszuwerten. Die Finanzverwaltung wäre in diesem Fall verpflichtet, die sichergestellten Daten in angemessener Zeit mit Blick auf die vorgeworfene Verkürzung von Körperschaftsteuer auszuwerten und anschließend zurückzugeben oder zu löschen. Die in der Entscheidung des BFH beschriebene Problemlage hat daher im Kern nichts damit zu tun, dass die Staatsanwaltschaft wegen eines Nichtsteuerdelikts ermittelte.

Fazit

Der BFH kommt in seinem Beschluss vom 23.04.2025 zu einer bemerkenswerten Entscheidung, mit der die Rechte des Steuerpflichtigen in Bezug auf seine Daten gestärkt und deren steuerlicher Auswertung Grenzen gesetzt werden. Werden im Rahmen einer Durchsuchung sichergestellte Daten nicht innerhalb angemessener Zeit gem. § 110 StPO auf ihre Beweiserheblichkeit durchgesehen, müssen sie (teilweise) gelöscht bzw. an den Betroffenen zurückgegeben werden. Eine steuerliche Auswertung ist insoweit ausgeschlossen, weil die Daten einem qualifizierten Verwertungsverbot unterliegen.

Die Entscheidung hat zudem über den entschiedenen Einzelfall hinaus einen weiten Anwendungsbereich und gilt in gleicher Weise für Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft oder der Straf- und Bußgeldsachenstelle, die sich auf ein Steuerdelikt beziehen. Auch in diesen Fällen muss zum Schutz des Steuerpflichtigen gewährleistet sein, dass seine Daten nur zu einem spezifischen Zweck verwendet werden, der durch das Ermittlungsverfahren umgrenzt wird. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass seine Daten – vergleichbar einer „Vorratsdatenspeicherung“ – auch außerhalb der Grenzen eines konkreten Ermittlungsverfahrens von der Finanzverwaltung uneingeschränkt für steuerliche Zwecke genutzt werden könnten.

Kontaktperson: Dr. Marcus Geuenich