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Kommunalabwasser-Richtlinie KARL: Pharma- und Kosmetikindustrie in der Pflicht


Mit der KARL wird für kommunales Abwasser eine vierte Reinigungsstufe zum Herausfiltern von Mikroschadstoffen eingeführt. Zur Kostenübernahme wird die sogenannte erweiterte Herstellerverantwortung herangezogen. Dieses bereits in anderen Bereichen etablierte Finanzierungsinstrument gilt damit künftig erstmalig auch in der kommunalen Abwasserentsorgung. Adressaten dieser erweiterten Herstellerverantwortung sind insbesondere die Pharma- und die Kosmetikindustrie.

Einführung

Die Richtlinie (EU) 2024/3019 vom 27.11.2024 über die Behandlung von kommunalem Abwasser (Kommunalabwasserrichtlinie, kurz KARL) ist am 01.01.2025 in Kraft getreten. Sie enthält neue Vorgaben zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt vor einer Beeinträchtigung durch Einleitungen von unzureichend behandeltem kommunalem Abwasser auf. Als Richtlinie ist sie bis zum 31.07.2027 in nationales Recht umzusetzen.

Kostenerstattung über Einführung der sog. erweiterten Herstellerverantwortung

Eine wesentliche Neuerung der KARL besteht in der Einführung einer vierten Reinigungsstufe für kommunales Abwasser, die Rückstände von Mikroschadstoffen aus dem Abwasser filtern soll, insbesondere per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS). Die Kosten der vierten Reinigungsstufe sollen über die Einführung der sogenannten erweiterten Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility) finanziert werden. Hierbei sind – nach den Informationen der EU-Kommission – Arzneimittel und kosmetische Rückstände derzeit die Hauptquellen für Mikroschadstoffe im kommunalen Abwasser. Gemäß Art. 9 KARL sollen daher mindestens 80 Prozent der Gesamtkosten von den Herstellern von Humanarzneimitteln, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG fallen, und den Herstellern kosmetischer Mittel, die in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 fallen, getragen werden. Nach Hochrechnungen auf der Basis realer Projektkosten geht die Branche davon aus, dass die Einführung der vierten Reinigungsstufe allein in Deutschland bis zu 10,5 Mrd. EUR kosten wird.

Die KARL adressiert im Zusammenhang mit der Kostenübernahmepflicht den Hersteller (erweiterte Herstellerverantwortung). Art. 2 Nr. 19 KARL versteht unter „Hersteller“ jeden Erzeuger, Einführer oder Händler, der gewerbsmäßig seine Produkte in einem Mitgliedstaat in Verkehr bringt. Mit „Inverkehrbringen“ ist dabei das erstmalige Bereitstellen auf dem Markt gemeint, wie Art. 2 Nr. 26 KARL klarstellt. Damit zielt die KARL nicht auf eine Einleitung von Mikroschadstoffen in das kommunale Abwasser durch den Herstellungsprozess ab, sondern darauf, dass die Mikroschadstoffe durch die tatsächlich in Umlauf gebrachten Produkte und deren Ausscheidung durch die Verbraucher in das kommunale Abwasser gelangen.

Kosmetikindustrie

Für den Kosmetikbereich ist damit die Frage, wer „Hersteller“ im Sinne der KARL ist, leicht zu beantworten. Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Kosmetikverordnung (EG) Nr. 1223/2009 gilt ein weiter Herstellerbegriff, wonach Hersteller jede natürliche oder juristische Person sein kann, die ein kosmetisches Mittel herstellt bzw. entwickeln oder herstellen lässt und es unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke in Verkehr bringt.

Pharmaindustrie

Dies sieht im Bereich der Arzneimittelherstellung jedenfalls terminologisch anders aus: Hier ist Hersteller im weiteren Sinne der Inhaber der arzneimittelrechtlichen Zulassung (oder kurz „Zulassungsinhaber“). Der Zulassungsinhaber im Sinne des Art. 6 der Humanarzneimittelkodex-Richtlinie 2001/83/EG ist für das Inverkehrbringen zugelassener Arzneimittel verantwortlich. Die eigentlichen „(Lohn-)Hersteller“ sind im Arzneimittelbereich nur dem Zulassungsinhaber untergeordnete Player. Die Lohnherstellung findet zum Teil außerhalb Deutschlands und ggf. sogar außerhalb der EU statt. Konsequenterweise unterscheidet das Arzneimittelrecht deshalb zwischen einer Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG und der arzneimittelrechtlichen Zulassung nach § 4 Abs. 18 AMG. Weil die KARL nicht auf durch die Herstellung, sondern auf über die Verbraucher in das kommunale Abwasser eingeleitete Mikroschadstoffe abstellt, ist „Hersteller“ im Sinne der KARL folglich im Arzneimittelbereich der Zulassungsinhaber, nicht der Lohnhersteller.

Rechtliche Rahmenbedingungen der erweiterten Herstellerverantwortung

Wie bereits erwähnt ist die KARL durch die Mitgliedstaaten bis zum 31.07.2027 in nationales Recht umzusetzen. Für die Umsetzung der erweiterten Herstellerverantwortung bleibt etwas mehr Zeit. Nach Art. 9 KARL, der die erweiterte Herstellerverantwortung konkretisiert, sind die Hersteller gehalten, diese bis spätestens 31.12.2028 zu übernehmen. Die Mitgliedstaaten wiederum sind angehalten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um deren Umsetzung sicherzustellen.

Verursacherprinzip

Die erweiterte Herstellerverantwortung basiert auf dem Verursacherprinzip, das in Art. 191 Abs. 2 AEUV verankert ist. Danach trägt grundsätzlich derjenige, der eine Umweltverschmutzung verursacht, die finanzielle Verantwortung für deren Beseitigung. Dieses Prinzip bildet das zentrale Argument für die Einbeziehung von Herstellern in die Kosten der Abwasserreinigung, wenn ihre Produkte zur Verschmutzung beitragen. Die EU-Kommission verweist bei der KARL ausdrücklich auf dieses Prinzip und knüpft damit an eine in anderen Bereichen bestehende Praxis an. Eine vergleichbare Umsetzung des Verursacherprinzips findet sich bereits in anderen EU-Rechtsakten, z. B. der Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) oder der Abfallrahmenrichtlinie (2008/98/EG).

Neben der Pflicht, 80 Prozent der Gesamtkosten für die Einführung der vierten Reinigungsstufe gemäß Art. 8 KARL zu übernehmen, müssen die Hersteller auch die Kosten für die Erhebung und Überprüfung von Daten zu den von ihnen in Verkehr gebrachten Produkten wie auch sämtliche weitere Kosten, die im Rahmen der erweiterten Herstellerverantwortung anfallen, tragen.

All dies stellt eine grundlegende Neuerung in der kommunalen Abwasserbeseitigung dar. Während bislang ausschließlich die Verbraucher über ihre Abwassergebühren für die Reinigungskosten aufkommen, werden nun erstmals auch die Inverkehrbringer von Produkten finanziell in die Verantwortung genommen.

Ausnahmen

Ausnahmen von der erweiterten Herstellerverantwortung sieht die KARL vor, wenn die Menge der betreffenden Stoffe in den von einem Hersteller in der Union in Verkehr gebrachten Produkten unter einer Tonne pro Jahr liegt oder wenn die Stoffe im Abwasser rasch biologisch abbaubar sind bzw. am Ende ihrer Lebensdauer keine Mikroschadstoffe im Abwasser hinterlassen. Die EU-Kommission führt auf der Basis der von den Mitgliedstaaten übermittelten Informationen eine Liste der gestellten Ausnahmeanträge.

Pflicht zur Gründung einer Organisation

Hervorzuheben ist, dass die Hersteller gemäß Art. 9 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 10 KARL verpflichtet sind, eine Organisation zur Wahrnehmung ihrer erweiterten Herstellerverantwortung zu gründen. Diese Organisation muss einen klar definierten geografischen Zuständigkeitsbereich aufweisen und über die erforderlichen finanziellen und organisatorischen Mittel verfügen, um den Verpflichtungen der Hersteller nachzukommen. Dazu gehören insbesondere finanzielle Garantien, die sicherstellen, dass die vierte Reinigungsstufe für kommunales Abwasser gemäß Art. 8 KARL unter allen Umständen fortgeführt wird. Darüber hinaus ist die Organisation verpflichtet, Transparenz zu gewährleisten, indem etwa Angaben zu Eigentums- und Mitgliederstrukturen, Informationen über die finanziellen Beiträge der Hersteller sowie eine jährliche Berichterstattung über ihre Tätigkeiten mit detaillierten Angaben zur Verwendung der finanziellen Mittel der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Überwachungs- und Durchsetzungsrahmen der Mitgliedstaaten

Um eine ordnungsgemäße Umsetzung sicherzustellen, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen geeigneten Überwachungs- und Durchsetzungsrahmen zu schaffen. Dieser soll gewährleisten, dass die Organisationen für Herstellerverantwortung ihren Verpflichtungen transparent nachkommen, die Finanzmittel ordnungsgemäß verwendet werden und alle Akteure mit erweiterter Herstellerverantwortung den zuständigen Behörden sowie auf Anfrage den Organisationen für Herstellerverantwortung zuverlässige Daten übermitteln. Dazu zählt auch der Erlass von Sanktionen, die bei Verstößen gegen die gemäß der Richtlinie erlassenen nationalen Vorschriften zu verhängen sind. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

Fazit und Ausblick

Viel Zeit bleibt der Pharma- und Kosmetikindustrie nicht, die Vorgaben der KARL rund um die neue erweiterte Herstellerverantwortung umzusetzen. Auch bedarf die Gründung einer Organisation zur Wahrnehmung der erweiterten Herstellerverantwortung umfassender und sorgfältiger Vorbereitung, gerade angesichts der Vorgaben der KARL hierzu im Einzelnen. Unabhängig davon stellt sich die Frage der Rechtmäßigkeit bzw. der Verhältnismäßigkeit dieser erweiterten Herstellerverantwortung. Steht die KARL mit der erweiterten Herstellerverantwortung beispielsweise im Einklang mit anderen Regelungen des EU-Rechts und ist die Regelung vereinbar mit den Grundrechten und Grundfreiheiten? Hierbei steht insbesondere die Datengrundlage für den Erlass der KARL in der Kritik. Die Umsetzung in nationales Recht bietet weitere Spielräume, bei denen sich diese Fragen stellen und die unter Umständen gerichtlich überprüft werden müssen. Die Erfolgsaussichten von Rechtsmitteln dürften auch davon abhängig sein, wogegen sich diese richten: gegen die KARL, gegen das Gesetz zur Umsetzung der KARL in Deutschland oder gegen den Rechtsakt zur Kostenübernahme. Auch stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt idealerweise Rechtsmittel eingelegt werden.