Woman checking her email in a meeting

Kein digitales Zugangsrecht einer Gewerkschaft zum Betrieb


Aufgrund der aktuellen Veränderungen in der Arbeitswelt scheint bei Gewerkschaften ein immer größer werdendes Bedürfnis zu bestehen, ihre (potenziellen) Mitglieder auch über digitale Kanäle zu erreichen. Mit einer aktuellen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) jedoch Ansprüche einer Gewerkschaft gegenüber einem Unternehmen, ihr solche Zugänge zu gewähren, weitestgehend abgelehnt (BAG, Urteil vom 28.01.2025 – Az.: 1 AZR 33/24). Dies ist ein begrüßenswertes Urteil, da ansonsten Arbeitgeber im digitalen Zeitalter gleichsam zum „Helfer der Gewerkschaften“ mutieren würden.

Aktuelle Rechtslage: lediglich physisches Zugangsrecht der Gewerkschaft

Gewerkschaften, die im Betrieb vertreten sind, haben nach § 2 Abs. 2 BetrVG ein physisches Zugangsrecht zum Betrieb, soweit dies der Wahrnehmung ihrer Aufgaben dient. Sie sollen zur Durchsetzung und Sicherung ihrer Koalitionsfreiheit die Möglichkeit haben, sich mit ihren Mitgliedern auszutauschen und neue Mitglieder zu gewinnen. Im Rahmen ihres Zugangsrecht darf die Gewerkschaft mit Arbeitnehmern sprechen, Aushänge anbringen und Flugblätter verteilen. Der Arbeitgeber muss diese Aktivitäten der Gewerkschaft in seinem Betrieb grundsätzlich dulden.

Änderung der Arbeitswelt: mobile Arbeit, Digitalisierung, Intranet

Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich die Arbeitswelt jedoch stark verändert. Die Tätigkeit außerhalb des eigentlichen Betriebs ist zur Normalität geworden. Auch Mitarbeiterversammlungen finden virtuell statt, Informationen werden nicht mehr über das schwarze Brett, sondern entweder per E-Mail oder über das Intranet an die Arbeitnehmer übermittelt. Infolge dieser Entwicklungen können Gewerkschaften teilweise mit herkömmlichen, analogen Methoden kaum noch Arbeitnehmer erreichen.

§ 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG regelt u. a. für die Verwaltungen des Bundes und die Gerichte des Bundes ausdrücklich das Recht einer Gewerkschaft oder eines Arbeitgeberverbandes, eine Verlinkung im Intranet der Dienststelle auf den jeweils eigenen Internetauftritt zu verlangen. Für alle übrigen Arbeitgeber, insbesondere die privaten Unternehmen, fehlt es jedoch an einer entsprechenden Regelung.

BAG: kein Anspruch auf digitalen Zugang zu Arbeitnehmern

Sachverhalt

Bei dem beklagten Unternehmen erfolgt die interne Kommunikation überwiegend digital, ein Großteil der Arbeitnehmer hat eine firmeneigene E-Mail-Adresse. Die klagende Gewerkschaft begehrt Zugang zu den internen digitalen Kommunikationssystemen des beklagten Unternehmens und verlangt die Übermittlung der betrieblichen E-Mail-Adressen aller Arbeitnehmer. Sie beabsichtigt, bis zu 104 E-Mails pro Jahr mit gewerkschaftlichen Informationen zu versenden. Zudem fordert sie den Zugang zum konzernweiten internen Netzwerk der Beklagten als „internal user“, um dort gewerkschaftliche Beiträge platzieren zu können, und eine direkte Verlinkung von der Startseite des Intranets zu ihrer eigenen Website. Die Beklagte lehnt diese Forderungen ab. Sowohl das Arbeitsgericht Nürnberg als auch das Landesarbeitsgericht Nürnberg haben die Klage abgewiesen. Die Klägerin legte daraufhin Revision beim BAG ein.

Entscheidungsgründe

Das BAG hat die Urteile der Vorinstanzen bestätigt und einen Anspruch der Klägerin auf Zugang zu den digitalen Kommunikationsmitteln der Beklagten verneint. Zwar gewährleiste die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG das Recht der Gewerkschaften auf Betätigung, dadurch werde jedoch kein spezifischer Anspruch auf Nutzung betriebsinterner digitaler Kommunikationswege eines Arbeitgebers begründet. Stattdessen müsse – mangels konkreter gesetzlicher Regelung – die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft mit den Grundrechten des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) und Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie) sowie den Persönlichkeitsrechten der Arbeitnehmer in Einklang gebracht werden. Dies sei grundsätzlich bei einem so isolierten Begehren wie der Übermittlung der E-Mail-Adressen nicht möglich, sodass dieser Anspruch schon deshalb abzulehnen sei. Auch die geltend gemachten Ansprüche auf Zugang zum konzernweiten internen Netzwerk und auf eine Verlinkung zur Website im Intranet seien abzulehnen, da dadurch die Beklagte in ihrer verfassungsrechtlich garantierten wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit erheblich beeinträchtigt würde. Zudem stellte das BAG klar, dass die Klägerin ihr Begehren nicht auf eine analoge Anwendung von § 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG stützen könne, wonach Gewerkschaften einen Anspruch darauf haben, dass die Dienststelle in ihrem Intranet den Internetauftritt der Gewerkschaft verlinkt, da es an einer planwidrigen Regelungslücke im Betriebsverfassungsgesetz fehle.

Kooperation mit der Gewerkschaft in der Praxis

Vor dem Hintergrund der geänderten Bedingungen in der Arbeitswelt stellt das Urteil des BAG Arbeitgebern einen klaren Rechtsrahmen zur Verfügung, solange es keine gesetzliche Regelung zum digitalen Zugangsrecht der Gewerkschaft gibt. Ein solches war im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung zwar ursprünglich vorgesehen, wurde aber nicht umgesetzt. Wie das BAG zutreffend feststellt, ist auch die Regelung in § 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG nicht verallgemeinerbar.

Die Erwägungen des BAG sind auch deshalb aus Arbeitgebersicht begrüßenswert, da ansonsten die Rechte der Gewerkschaft weit über das aktuelle Maß hinaus zulasten des Arbeitgebers ausgedehnt würden. Nach aktueller Rechtslage kann die Gewerkschaft mit Arbeitnehmern im Betrieb sprechen. Das bedeutet aber auch, dass die Arbeitnehmer selbst entscheiden können, ob sie in den Austausch mit der Gewerkschaft treten wollen. Wäre nun der Arbeitgeber verpflichtet, der Gewerkschaft die E-Mail-Adressen aller Arbeitnehmer zu übermitteln, würde der Kreis der erreichbaren Arbeitnehmer ohne deren Einwilligung schlagartig erweitert. Die Gewerkschaft käme über die E-Mail-Adressen mit deutlich mehr Arbeitnehmern in Kontakt, als sie durch das „klassische“ Zugangsrecht erreichen könnte. Diese Kontaktaufnahme sollte im konkreten Fall (104 E-Mails pro Jahr) vermutlich auch deutlich umfangreicher ausfallen als bisher. Es kann angezweifelt werden, dass die Gewerkschaft fast jeden zweiten Arbeitstag bei einem Arbeitgeber physisch vor Ort aktiv wäre. Gleichzeitig würde ein Zugang als „internal user“ zu einem konzernweiten internen Unternehmensnetzwerk auch die Interessen des Arbeitgebers stark beeinträchtigen, da die Gewerkschaft so auch Zugriff auf unternehmensinterne, sensible Daten erhalten kann, auf die sie zum einen keinen Anspruch hat, die zum anderen aber auch Unternehmen betreffen können, in denen die Gewerkschaft gar nicht vertreten ist.

Fazit/Praxishinweis/Ausblick

Auch im digitalen Zeitalter müssen Arbeitgeber die Gewerkschaften nicht aktiv dabei unterstützen, ihren Aufgaben nachzukommen, sondern lediglich ihr Tätigwerden im Rahmen der Grenzen des § 2 Abs. 2 BetrVG dulden. Freiwillige Vereinbarungen zu einem digitalen Zugangsrecht bleiben möglich. So weist das BAG selbst darauf hin, dass die Gewerkschaft im Betrieb bei den anwesenden Arbeitnehmern ihre E-Mail-Adressen erfragen könnte, um ihnen zukünftig E-Mails zu schicken. Gleichzeitig kann das Unternehmen freiwillig im Unternehmensintranet auf die Website der Gewerkschaft verlinken (wie es § 9 Abs. 3 Satz 2 BPersVG bereits jetzt für den öffentlichen Dienst vorsieht). So können flexible und für das jeweilige Unternehmen passgenaue Lösungen gefunden werden, um möglichen Konflikten mit den Gewerkschaften vorzubeugen.