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Der Koalitionsvertrag: ein Wegbereiter für Beschleunigung in Planungs- und Genehmigungsverfahren?


„Deutschland braucht eine echte Staatsreform. […] Wir schaffen praxistaugliche Regelungen und schlanke Verfahren und sind offen für Innovationen“. Was hinter diesem Versprechen aus dem zwischen Union und Sozialdemokraten ausgehandelten und am 05.05.2025 unterzeichneten Koalitionsvertrag (im Folgenden „KoaV“) steckt, erfahren Sie in unserem kurzen Überblick, in dem wir – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige aus unserer Sicht besonders interessante Aspekte für Sie beleuchten. Der Blick richtet dabei vor allem auf die für Industrie und Infrastruktur so dringend erforderliche Beschleunigung und Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Koalitionsvertrag als Änderungsagenda

Der KoaV überrascht mit diversen angestrebten Änderungen in den einschlägigen Fachgesetzen, die teilweise sehr konkret beschrieben werden. Andere Anpassungen werden dagegen nur angedeutet und wirken rechtlich noch nicht fertig durchdacht. Wie die konkrete Umsetzung aussehen wird, bleibt abzuwarten.

Verfahrensrechtliche Neuerungen

Der KoaV trifft zunächst einige allgemeine Aussagen zur Gestaltung von Planungs- und Genehmigungsverfahren:

  • Stichtagsregelung: Es sollen Stichtagsregelungen eingeführt werden, die über den im Verfahren anzuwendenden Rechtsrahmen entscheiden (Zeile 691 ff. KoaV). Damit geht der KoaV auf ein in der Praxis außerordentlich relevantes Problem ein. Immer wieder müssen bereits eingereichte Antragsunterlagen noch vor Erteilung der Genehmigung oder Aufstellung des Plans angepasst werden, weil eine zwischenzeitlich eingetretene Änderung der Rechtslage (z. B. Änderungen in der Umweltgesetzgebung, aber auch Änderungen eines Regionalplans oder einer örtlichen Schutzgebietsverordnung) noch nicht berücksichtigt wurde. Eine Regelung in den jeweiligen Fachgesetzen, mit der der für die Beurteilung maßgebliche Rechtsrahmen festgeschrieben wird, würde dies verhindern.
  • Genehmigungsfiktionen (Zeile 1950 KoaV): Von einer Genehmigungsfiktion spricht man, wenn nach den einschlägigen Verfahrensregeln (z. B. nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz [BImSchG] oder auch nach den Landesbauordnungen) die Genehmigung als erteilt gilt, wenn die zuständige Behörde innerhalb einer bestimmten Frist nach Antragstellung keine Antwort übermittelt hat. Die Figur der Genehmigungsfiktion ist im deutschen Genehmigungsrecht schon angelegt, beschränkt sich derzeit aber noch auf eng begrenzte Sachverhalte wie etwa das Repowering von Windenergieanlagen (§ 16b Abs. 9 BImSchG). Auf welche Anlagen oder Vorhaben die zukünftige Koalition Genehmigungsfiktionen ausweiten will, ist noch unklar. Auch ist zu beachten, dass der Einführung von Genehmigungsfiktionen europarechtliche Grenzen gesetzt sein dürften.
  • Plangenehmigung als Regelverfahren bei Ersatz maroder Infrastruktur (Zeile 2130 f. KoaV): Planfeststellungsverfahren für Infrastrukturvorhaben dauern oft mehrere Jahre und bergen aufgrund der durchzuführenden Öffentlichkeitsbeteiligung Risiken. Die Plangenehmigung ohne Öffentlichkeitsbeteiligung als „kleine Schwester“ der Planfeststellung kommt bislang nur unter engen Voraussetzungen zur Anwendung. Bestimmungen, die die Plangenehmigung als Regelverfahren für den Ersatz maroder Infrastruktur einführen, hätten eine erhebliche entlastende und beschleunigende Wirkung.
  • „Klarere“ Verfahrensfristen und Typengenehmigungen (Zeile 1348 f. KoaV): Inwieweit das bereits sehr konkrete Immissionsschutzrecht im Hinblick auf Verfahrensfristen „klarer“, also deutlicher, formuliert werden kann, ist fraglich. Gemeint ist womöglich, dass die bereits geltenden Verfahrensfristen verkürzt werden und so die schon jetzt überlastete Verwaltung weiter fordern. Hier kommen die ebenfalls angekündigten Typengenehmigungen ins Spiel. Als Verwaltungsvereinfachung für bauliche Anlagen sollen es diese Genehmigungen ermöglichen, bauliche Anlagen wie beispielsweise Windenergieanlagen in derselben Ausführung an mehreren Stellen „standardmäßig“ zu errichten. Die Festlegung auf etwaige standardisierte Anlagen birgt allerdings die Gefahr von Wettbewerbs- und Innovationshemmnissen, da Innovationen gebremst werden könnten, wenn sich der Gesetzgeber auf einen einzuhaltenden Typ festlegt. Die künftige Koalition muss sich hier wohl zwischen Beschleunigung einerseits und Wettbewerbsfähigkeit und Innovation andererseits entscheiden.
  • Überprüfung der Klage- und Beteiligungsrechte (Zeile 1354 f. KoaV): Klage- und Beteiligungsrechte sollen auf unmittelbar Betroffene reduziert werden. Behörden und Gerichte werden so von Verfahren entlastet, bei denen der Kläger von vornherein nicht betroffen ist. Die Koalitionäre wollen sich in diesem Kontext auch um eine Wiedereinführung der materiellen Präklusion bemühen (Zeile 2119 f. KoaV). Das Prinzip der materiellen Präklusion besagt sinngemäß, dass sich Betroffene in Rechtsbehelfsverfahren nicht auf Umstände berufen können, die sie nicht bereits im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgebracht haben. Diesbezügliche Regelungen aus dem deutschen Verfahrensrecht hatte der Europäische Gerichtshof jedoch in einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 in weiten Teilen für europarechtswidrig erklärt (EuGH, Urteil vom 15.10.2015 – Az.: C-137/14).

Anpassung sachlicher Anforderungen

Auch inhaltlich deutet der KoaV Neuerungen an, die in erster Linie umweltrechtliche Anforderungen betreffen, aber auch die Durchsetzungsfähigkeit von Vorhaben in Abwägungsentscheidungen stärken sollen:

  • Beschleunigungspotenziale im BImSchG sollen durch Überarbeitung und Vereinfachung der Technischen Anleitung Luft (TA-Luft) und der Technischen Anleitung Lärm (TA-Lärm) gehoben werden. Eine solche Überarbeitung ist nach den Anpassungen von 2017 bzw. 2021 rechtlich weder geboten noch notwendig. Worin die Vereinfachungen bestehen könnten, bleibt vorerst noch unklar.
  • Die nach EU-Recht zulässigen Spielräume für eine Vereinfachung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) sollen genutzt werden, indem die Schwellenwerte für Vorhaben mit UVP-Pflicht angehoben werden und eine Aussetzung der UVP-Vorprüfung für Änderungsgenehmigungen erfolgt (Zeile 1349 ff. KoaV). Die UVP stellt sowohl auf Antragstellerseite als auch aufseiten der Genehmigungsbehörden einen arbeitsintensiven Teil des Genehmigungsverfahrens dar und bietet vor diesem Hintergrund zweifellos Vereinfachungs- und Beschleunigungspotenzial. Abzuwarten bleibt, inwieweit sich diese Ansätze europarechtlich auch umsetzen lassen.
  • Durch gesetzliche Festlegung eines „überragenden öffentlichen Interesses“ namentlich für die Vorhaben des Sondervermögens Infrastruktur soll diesen Vorhaben nach dem Vorbild der Beschleunigungsregelungen des LNG-Beschleunigungsgesetzes (LNGG) eine erhöhte Durchsetzungskraft gegenüber den sie betreffenden materiellrechtlichen Anforderungen verliehen werden (Zeile 1931 ff. KoaV). So werden nicht nur Genehmigungsverfahren verkürzt, sondern die Klageaussichten gegen solche Vorhaben von vornherein reduziert.

Fazit

Der KoaV in der vorliegenden Fassung lässt den klaren politischen Willen zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren erkennen. Nicht alle Ansätze erscheinen allerdings geeignet (z. B. die weitere Verkürzung von Verfahrensfristen) oder umsetzbar (z. B. Reduzierung des Anwendungsbereichs des UVPG). Wieder andere (z. B. die Typengenehmigung) konterkarieren wichtige anderweitige wirtschaftliche Belange oder sind noch weitgehend konturlos (z. B. Novelle TA-Lärm/TA-Luft). Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, welche der angesprochenen Ansätze im Laufe der Legislaturperiode tatsächlich Eingang in die Gesetzgebung finden.