Hintergrund und Zielsetzung
Das BFSG setzt die EU-Richtlinie 2019/882 um, den sog. European Accessibility Act (EAA), und verpflichtet private Unternehmen, ihre Angebote so zu gestalten, dass sie auch für Menschen mit Einschränkungen ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind (§ 3 Abs. 1 BFSG). Dies betrifft nicht nur Produkte wie Computer, Smartphones oder Fernsehgeräte, Geld- und Fahrkartenautomaten sowie diverse Selbstbedienungsterminals, sondern auch Dienstleistungen im Bereich Telekommunikation, Medien, Verkehr und Mobilität sowie elektronische Bankdienstleistungen und den gesamten Bereich des E-Commerce. Betreiber jeglicher Online-Shops, unabhängig von den damit vertriebenen Produkten, müssen sich daher zwingend mit den Anforderungen des BFSG auseinandersetzen. Nicht nur die Desktop- und Mobilversion einer Website, sondern gegebenenfalls auch Apps müssen barrierefrei gestaltet sein.
Vorgaben des Gesetzes
Das BFSG und die auf dessen Grundlage erlassene Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV) definieren im Einzelnen technische Anforderungen an die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen. Hierzu zählen beispielsweise die Möglichkeit der Bedienung ausschließlich über Tastaturen (einschließlich etwaiger Drop-down-Menüs oder Werbe- und Cookiebannern) oder die Wahrnehmbarkeit über das 2-Sinne-Prinzip, was den konkreten Informationszugang über mindestens zwei Sinneskanäle ermöglicht (beispielsweise die klassische Vorlesefunktion).
Zugleich hat Barrierefreiheit aber auch eine rechtliche Komponente: So müssen auch Rechtstexte oder Impressumangaben barrierefrei gestaltet sein. Auch Verpackungen, Gebrauchsanleitungen und Sicherheitshinweise müssen klar, verständlich und transparent barrierefrei konzipiert werden. Ebenso sind Informations- und Dokumentationspflichten in Vertragstexten oder allgemeinen Geschäfts- oder Lieferbedingungen zu ergänzen. Für weitere Informationen siehe auch „Digitale Barrierefreiheit – neue Pflichten für privatwirtschaftliche Unternehmen“.
Drohende Sanktionen
Hersteller, Importeure, Händler und Dienstleister, die diese Vorgaben nicht fristgerecht umsetzen oder dauerhaft einhalten, riskieren neben potenziellen Reputationsschäden in Zeiten von Social Media auch empfindliche Sanktionen, einschließlich Bußgeldern bis zu 100.000 EUR und der Möglichkeit, dass Produkte zurückgerufen oder Dienstleistungen eingestellt werden müssen (§ 37 BFSG). Außerdem haben die nach § 15 Abs. 3 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) qualifizierten Einrichtungen und Verbände ohne eigene Betroffenheit die Möglichkeit, eine Verbandsklage zu initiieren, beispielsweise der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV), die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V., die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. (ISL) oder die IG Metall sowie zahlreiche weitere Verbände. Es drohen zudem wettbewerbsrechtliche Abmahnungen durch Mitbewerber mit möglichen Unterlassungs- und Schadensersatzforderungen.
Praktische Tipps für Unternehmen
Um sich auf die Anforderungen des BFSG vorzubereiten, sollten Unternehmen unbedingt folgende Schritte in Betracht ziehen:
- Audit der bestehenden Produkte und Dienstleistungen: Überprüfen Sie, inwieweit Ihre Angebote unter die komplexen Regelungen des BFSG fallen und ob womöglich Ausnahmen zu Ihren Gunsten greifen. Prüfen Sie, welche Produkte und Dienstleistungen bereits barrierefrei sind und wo Verbesserungen notwendig sind.
- Denken Sie ganzheitlich: Barrierefreiheit endet nicht auf der Website oder in der App-Version. Auch die Kundenkommunikation beispielsweise durch automatisierte E-Mails (Bestellbestätigungen, Widerrufsbelehrungen oder Newsletter), Chatbots oder digitale Self-Service-Prozesse müssen den Anforderungen entsprechen.
- Durchführung von Beta-Tests: Erfahrungsgemäß werden in der Praxis gerade im Bereich der digitalen Barrierefreiheit „Kleinigkeiten“ übersehen. Automatisierte Überprüfungstools finden oft nur technische Fehler. Die praktische Nutzung durch Menschen mit Einschränkungen zeigt echte Barrieren auf. Scheuen Sie daher nicht die Kommunikation mit betroffenen Personen aus Ihrem Kundenkreis und zeigen Sie sich offen für ehrliches und konstruktives Feedback!
- Schulung der Mitarbeitenden: Sensibilisieren Sie Ihr Team für die Bedeutung der Barrierefreiheit und schulen Sie die Mitarbeitenden in den entsprechenden Standards.
- Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten: Ziehen Sie Fachleute hinzu, die Erfahrung in der Umsetzung von Barrierefreiheit haben, um sicherzustellen, dass alle Anforderungen erfüllt werden.
- Jährliche Evaluation: Um die Einhaltung des jeweils aktuellen Standes der Technik sicherzustellen, sollten Sie einmal jährlich Zeit für eine systematische Überprüfung und Dokumentation Ihrer Maßnahmen einplanen.
Bedeutung der Inklusion
In den letzten Jahren hat das Bewusstsein für Barrierefreiheit zugenommen. Viele Unternehmen haben bereits begonnen, ihre Produkte und Dienstleistungen medienwirksam barrierefrei anzupassen. Die Integration von Barrierefreiheit in die Unternehmensstrategie wird zunehmend als Wettbewerbsvorteil erkannt. Unternehmen, die proaktiv handeln, können nicht nur rechtliche Risiken minimieren, sondern auch ihre Marktposition stärken. Die Umsetzung des BFSG ist nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auch eine Chance, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Unternehmen, die Barrierefreiheit fördern, tragen zur Inklusion bei und stärken ihr Image als verantwortungsbewusste Marke und Arbeitgeber. Außerdem kann die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen die Kundenbindung erheblich verbessern. Menschen, die sich in ihren Bedürfnissen ernst genommen fühlen, sind eher bereit, loyal zu bleiben und positive Empfehlungen auszusprechen.