Einleitung
Am 06.03.2025 hat das BKartA erstmals ein Verfahren auf der Grundlage des neuen § 32f Abs. 3 GWB eingeleitet, um zu prüfen, ob im Kraftstoffgroßhandel eine erhebliche und fortwährende Wettbewerbsstörung besteht. Nach Durchführung der Sektoruntersuchung Raffinerien und Kraftstoffgroßhandel (im Folgenden kurz „Sektoruntersuchung“) kam beim BKartA der Verdacht wettbewerbsschädlicher Strukturen und daraus folgender überhöhter Preise auf. Das nun begonnene Verfahren nach § 32f Abs. 3 GWB birgt ein Novum im deutschen Kartellrecht, dessen Vorbild im Vereinigten Königreich liegt: Wenn das BKartA eine erhebliche Wettbewerbsstörung feststellt, darf es Abhilfemaßnahmen verhängen, selbst wenn die betroffenen Unternehmen sich nicht kartellrechtswidrig verhalten haben.
Hintergrund: die Sektoruntersuchung Raffinerien und Kraftstoffgroßhandel
Anlass für die Einleitung der Sektoruntersuchung waren die stark gestiegenen Preise für Kraftstoffe und deren zeitweise Entkopplung vom Rohölpreis unmittelbar nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 mit den anschließenden politischen Maßnahmen. In seinem umfangreichen Abschlussbericht vom Februar 2025 hält das BKartA fest, dass die Bedingungen für einen funktionierenden Wettbewerb im Mineralölbereich in Deutschland schwierig seien, da eine große Importabhängigkeit beim Bezug von Rohöl bestehe, die Märkte von vertikaler Integration und gegenseitigen Abhängigkeiten der Mineralölgesellschaften geprägt seien und eine hohe Markttransparenz auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette festzustellen sei.
Das BKartA betont besonders, dass Preisnotierungen eine wichtige Rolle für die Preissetzung auf der Raffinerie- und der Großhandelsebene spielen. Schon der Verkauf des Rohöls erfolgt üblicherweise über solche Preisnotierungen, aber auch nach der Verarbeitung in der Raffinerie richtet sich der Großhandelspreis vorwiegend nach der aktuellen Preisnotierung etwa zum Lieferzeitpunkt. Die Preisnotierungen basieren auf (detaillierten) Informationen durch Marktteilnehmer und werden maßgeblich durch nur zwei Anbieter bereitgestellt. Auch wenn Preisnotierungen nicht per se einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht darstellen, sieht das BKartA in dieser Markttransparenz wettbewerbsrechtliche Kollusions- und Manipulationsrisiken. So kann durch den mittelbaren Informationsaustausch eine künstliche Anhebung des Preisniveaus entstehen und der Markt durch selektive Meldungen beeinflusst werden.
Diese Markttransparenz auf Raffinerie- und Großhandelsebene steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu einer vom BKartA festgestellten zunehmenden Intransparenz auf der Absatzseite an Tankstellen, wo die sogenannte Markttransparenzstelle für Kraftstoffe sogar explizit darauf abzielt, die Tankstellenpreise für Verbraucherinnen und Verbraucher möglichst transparent zu machen. Es gelinge diesen jedoch immer seltener, in „Preistälern“ zu tanken, weil sich die täglichen Preisänderungen von vier- bis fünfmal im Jahr 2014 auf achtzehnmal im Jahr 2024 um ein Vielfaches erhöht haben.
Vor diesem Hintergrund hat das BKartA nun erstmals ein Verfahren auf der Grundlage des neuen § 32f Abs. 3 GWB eingeleitet.
Das neue Instrument
Ausgangslage
§ 32f Abs. 3 GWB trat als Teil des neuen § 32f GWB am 07.11.2023 in Kraft. Er folgt als Reaktion auf die Erkenntnis des BKartA und des Gesetzgebers, dass Wettbewerbsstörungen, die nicht an kartellrechtswidrige Verhaltensweisen anknüpfen, nicht ausreichend aufgegriffen und mit den herkömmlichen Mitteln des Kartellrechts behoben werden könnten. Beispiele für solche Verhaltensweisen sind eine implizite Kollusion oder ein unabgestimmtes Parallelverhalten von Unternehmen ohne (nachweisbare) direkte Kommunikation der betroffenen Unternehmen (sog. stillschweigende Kollusion oder „tacit collusion“). Wie dargestellt, kommt das BKartA in der Sektoruntersuchung zu dem Ergebnis, dass durch die bestehenden Marktstrukturen auf Raffinerie- und Großhandelsebene eine solche stillschweigende Einigung auf ein Preisniveau begünstigt und durch die Ausgestaltung der existierenden Preisnotierungssysteme weiter verstärkt wird, da durch solche Systeme ein mittelbarer Informationsaustausch über wesentliche Wettbewerbsparameter wie Mengen, Preise und Preisbestandteile herbeigeführt werden kann. Nach Ansicht des Gesetzgebers fielen solche Konstellationen – wenn nicht zumindest eine abgestimmte Verhaltensweise vorlag – überwiegend durch das „Raster“ bisheriger kartellrechtlicher Instrumente, obwohl das Marktergebnis identisch mit einem Kartell- beziehungsweise Monopolpreis sein könne. Anders als in der bisherigen Systematik des Kartellrechts, in der nur kartellrechtswidrige Verhaltensweisen und anmeldepflichtige Zusammenschlüsse untersagt werden können, soll das Instrument des § 32f GWB Durchsetzungslücken hinsichtlich solcher Störungen des Wettbewerbs insbesondere auf dauerhaft vermachteten und verfestigten Märkte schließen. Selbst eine eigentumsrechtliche Entflechtung nach § 32f Abs. 4 GWB ist danach möglich, wobei diese aufgrund hoher Anforderungen eher als Drohkulisse dient. Eine höhere praktische Relevanz dürften dagegen die Ausweitung der fusionskontrollrechtlichen Anmeldepflicht nach Abs. 2 sowie die nunmehr erstmals eingeleiteten Verfahren nach Abs. 3 haben.
Bedingungen
Damit § 32f Abs. 3 GWB Anwendung finden kann, bedarf es zunächst einer abgeschlossenen Sektoruntersuchung. Sodann muss durch Verfügung festgestellt werden, „dass eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem mindestens bundesweiten Markt, mehreren einzelnen Märkten oder marktübergreifend vorliegt“. Diese darf auch nicht mit den sonstigen Befugnissen des BKartA wirksam beseitigt werden können. Eine Störung gilt als fortwährend, wenn sie über einen Zeitraum von drei Jahren dauerhaft vorgelegen hat oder wiederholt aufgetreten ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass sie innerhalb von zwei Jahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entfallen wird. Dass die Störung erheblich sein muss, stellt keine besonders hohe Hürde dar, denn es genügt bereits, wenn die Störung mehr als nur geringfügig negative Effekte auf den Wettbewerb hat. Zur Feststellung einer Wettbewerbsstörung sind die Regelbeispiele des § 32f Abs. 5 GWB heranzuziehen. Danach kann eine Störung des Wettbewerbs insbesondere in folgenden Fällen vorliegen:
- unilaterale Angebots- oder Nachfragemacht
- Beschränkungen des Marktzutritts, des Marktaustritts oder der Kapazitäten von Unternehmen oder des Wechsels zu einem anderen Anbieter oder Nachfrager
- gleichförmiges oder koordiniertes Verhalten
- Abschottung von Einsatzfaktoren oder Kunden durch vertikale Beziehungen
Abhilfemaßnahmen
Sind die Bedingungen erfüllt, kann das BKartA verhaltensorientierte oder strukturelle Abhilfemaßnahmen erlassen, die zur Beseitigung oder Verringerung der Wettbewerbsstörung erforderlich sind. Im Betracht kommen insbesondere:
- die Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder sonstigen Einrichtungen
- Vorgaben zu den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Marktstufen
- eine Verpflichtung zur Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier und offener Normen und Standards durch Unternehmen
- Vorgaben zu bestimmten Vertragsformen oder Vertragsgestaltungen einschließlich vertraglicher Regelungen zur Informationsoffenlegung
- ein Verbot der einseitigen Offenlegung von Informationen, die ein Parallelverhalten von Unternehmen begünstigen
- die buchhalterische oder organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen.
Adressaten jener Maßnahmen können nur solche Unternehmen sein, die durch ihr Verhalten und ihre Bedeutung für die Marktstruktur, insbesondere durch ihre Marktstellung, wesentlich zur Störung des Wettbewerbs beitragen.
Die Bedeutung des Verfahrens
Die erstmalige Einleitung dieses Verfahrens zeigt, dass das BKartA bereit ist, neue Wege zu gehen, um strukturellen Problemen entgegenzutreten. Im Rahmen der Erforderlichkeit müssen mildere Maßnahmen lediglich bei gleicher Wirkung ergriffen werden, wodurch das BKartA regelmäßig Abhilfemaßnahmen anordnen dürfte, die die Störung vollständig beseitigen. Ob und inwieweit dabei Investitions- und Innovationsanreize berücksichtigt werden, bleibt abzuwarten. Die im vorliegenden Verfahren getroffenen Entscheidungen könnten jedenfalls wegweisend für künftige Eingriffe in andere Märkte sein.
Aus Verbrauchersicht sind wiederum langfristig positive Auswirkungen möglich. Gelingt es dem BKartA, strukturelle Wettbewerbsstörungen zu beseitigen, würde dies den Wettbewerb wieder ankurbeln, weiteren Anbietern die Tür zur Etablierung auf dem jeweiligen Markt öffnen und letztlich zu niedrigeren Preisen führen.
Abseits des bereits eingeleiteten Verfahrens dürfte die praktische Bedeutung des § 32f Abs. 3 GWB allerdings vorerst begrenzt bleiben. Von den im Vorfeld erforderlichen Sektoruntersuchungen wurde seit deren Einführung im Jahr 2005 durchschnittlich eine pro Jahr durchgeführt. Während des Gesetzgebungsverfahrens wurden zwei Sektoruntersuchungen sowie zwei Verfahren nach § 32f GWB pro Jahr vorhergesagt. Die insoweit ebenfalls veranschlagte und zweifellos nötige Aufstockung der Ressourcen des BKartA ist jedoch scheinbar bislang nicht erfolgt.