Was sind Überstunden und was ist Mehrarbeit?
In der Praxis werden die Begriffe „Überstunden“ und „Mehrarbeit“ oft synonym verwendet, auch wenn sie rechtlich unterschiedliche Bedeutungen haben. Diese Unterscheidung wird nicht immer konsequent beachtet, insbesondere in der täglichen Arbeitsorganisation.
Überstunden umfassen grundsätzlich die Stunden, die über die einzel- oder tarifvertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen, bis zu einer maximalen Arbeitszeit von 48 Wochenstunden. Hierbei können auch die die Arbeitsstunden von 48 bis 60 Wochenstunden einbezogen werden, wenn ein entsprechender Ausgleich erfolgt, so dass innerhalb eines Ausgleichszeitraums von sechs Kalendermonaten oder von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden (§ 3 Satz 2 ArbZG).
Im Gegensatz dazu beschreibt der Begriff „Mehrarbeit“ grundsätzlich die Arbeitszeit, die die gesetzlich festgelegte Höchstarbeitszeit überschreitet. Hierbei handelt es sich um Arbeitsstunden zwischen 48 und 60 Wochenstunden, die ohne Ausgleich geleistet werden, sowie um alle Arbeitsstunden, die die 60-Wochenstunden-Grenze überschreiten.
Auch tarifliche Regelungen und die Rechtsprechung verwenden die Begriffe „Mehrarbeit“ und „Überstunden“ uneinheitlich und teilweise synonym. Im Folgenden wird daher nicht mehr explizit zwischen den Begriffen unterschieden und die Ausführungen gelten grundsätzlich sowohl für Überstunden als auch für Mehrarbeit.
Anordnung von Überstunden
Ein Arbeitnehmer ist nur dann zur Leistung von Überstunden verpflichtet, wenn dies individual- oder kollektivrechtlich vereinbart ist. Ausnahmen können sich nur in betrieblichen Notsituationen ergeben. Notsituationen sind, angelehnt an § 14 ArbZG, unvorhersehbare Ereignisse wie z. B. Naturkatastrophen, schwere Unfälle, plötzliche Maschinenausfälle oder andere Fälle höherer Gewalt. Dabei ist jedoch stets zu beachten, dass die Anordnung von Überstunden unzulässig ist, sobald die gesetzlich festgelegte Höchstarbeitszeit überschritten wird. Auf kollektivrechtlicher Ebene ist außerdem das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anordnung von Überstunden zu beachten. Arbeitnehmer sind nur dann verpflichtet, Überstunden zu leisten, wenn der Betriebsrat bei der Anordnung ordnungsgemäß beteiligt wurde.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist dabei nicht nur in den Fällen relevant, in denen generell Überstunden geleistet werden sollen, sondern auch gerade im Einzelfall und selbst bei einem Einverständnis des Arbeitnehmers. Ausnahmen hiervon bestehen grundsätzlich auch dann nicht, wenn es sich um Not- oder Eilfälle wie z. B. eine kurzfristige Erkrankung eines anderen Arbeitnehmers handelt. Hier verweist die Rechtsprechung darauf, dass auch diese Fälle nicht „unvorhersehbar“ sind und daher durch vorsorgliche Regelungen vollumfänglich der Mitbestimmung offenstehen. Nur in absoluten Ausnahmefällen kann auf die Mitbestimmung verzichtet werden. Das ist dann der Fall, wenn sofortiges Handeln erforderlich ist, um Schäden vom Betrieb oder seinen Arbeitnehmern abzuwenden, etwa bei Naturkatastrophen oder Unfällen. In solchen Fällen darf der Arbeitgeber vorläufig Maßnahmen ergreifen, muss jedoch unverzüglich die Beteiligung des Betriebsrats nachholen. In der Praxis bieten sich hier Rahmenregelungen an, die beispielsweise pauschal eine gewisse Anzahl Überstunden – etwa bis zu fünf Stunden pro Monat – ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats ermöglichen. Darüber hinaus können Notfälle klar definiert werden, bei denen in bestimmten festgelegten Situationen keine (vorherige) Zustimmung des Betriebsrats mehr notwendig ist.
Eine solche durch Rahmenregelungen ermöglichte Flexibilität erlaubt es Unternehmen, Überstunden effizient zu organisieren, ohne die Rechte der Arbeitnehmer und die Mitbestimmungspflichten des Betriebsrats aus den Augen zu verlieren.
Vergütung von Überstunden
Im Arbeitsrecht gibt es grundsätzlich keine einheitliche gesetzliche Regelung für die Vergütung von Überstunden. Überstunden müssen im Grundsatz dann vergütet werden, wenn es mit den Arbeitnehmern vereinbart ist oder eine Vergütungserwartung besteht.
Ob eine solche Vergütungserwartung objektiv vorliegt, hängt maßgeblich von der Position des Arbeitnehmers und dessen Gehalt ab. Bei Arbeitnehmern, die ,,höhere Dienste‘‘ verrichten oder deren Vergütung oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung liegt, kann eine zusätzliche Vergütung in der Regel nicht erwartet werden (vgl. BAG, Urteil vom 27.06.2012 – Az.: 5 AZR 530/11).
In der Praxis erfolgt die Abgeltung von Überstunden entweder durch Freizeitausgleich oder durch Geldzahlung. Wenn eine Vereinbarung sowohl Freizeitausgleich als auch Geldzahlung als Ausgleichsmöglichkeit vorsieht, liegt es im Ermessen des Arbeitgebers, welche Option er wählt. Arbeitnehmer haben in diesem Fall keinen Anspruch auf eine bestimmte Form der Kompensation.
Sollte ein Freizeitausgleich nicht möglich oder gewollt sein, ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Überstunden finanziell zu vergüten. Das gilt auch dann, wenn die Überstunden gegen arbeitszeitrechtliche Vorschriften verstoßen oder mitbestimmungswidrig geleistet wurden. Das Arbeitszeitgesetz schützt zwar vor Überforderung durch unzulässige Mehrarbeit, es schließt jedoch nicht den Anspruch auf Überstundenvergütung aus – unabhängig von der Rechtmäßigkeit der überobligatorisch geleisteten Arbeitszeit.
Im Zusammenhang mit der Vergütung von Überstunden liegt die Darlegungs- und Beweislast für die geleisteten Überstunden grundsätzlich bei den Arbeitnehmern. Diese müssen nachweisen, wann und in welchem Umfang sie über die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus tätig waren und dass die Überstunden entweder vom Arbeitgeber angeordnet oder zumindest (wissentlich) gebilligt wurden. Für den Arbeitgeber wird die ordnungsgemäße Dokumentation von Arbeitszeit und Überstunden zu einem unverzichtbaren Instrument, um rechtliche Risiken zu minimieren und eine lückenlose Nachvollziehbarkeit der Arbeitsleistung zu gewährleisten, da er im Bestreitensfall dem Vortrag des Arbeitnehmers substantiiert entgegentreten muss.
Vom Erfordernis der arbeitgeberseitigen Anordnung, Billigung oder Duldung ist dabei aber nicht wegen der Entscheidung des EuGH zur Pflicht des Arbeitgebers zur Einrichtung eines Systems zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit (vgl. EuGH, Urteil vom 14.05.2019 – Az.: C-55/18) abzurücken. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil (vgl. BAG, Urteil vom 04.05.2022 – Az.: 5 AZR 359/21) ausdrücklich festgestellt, dass das Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung keine Folgen für die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess hat. Arbeitnehmer sind weiterhin verpflichtet, die tatsächliche Leistung von Überstunden sowie deren Anordnung, Billigung oder Duldung durch den Arbeitgeber nachzuweisen.
Pauschale Abgeltung von Überstunden
Üblicherweise finden sich in Arbeitsverträgen oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen Regelungen zur pauschalen Abgeltung von Überstunden. Hier ist es von besonderer Bedeutung, dass Arbeitgeber ihre Verträge und Betriebsvereinbarungen sorgfältig formulieren. Derartige Abgeltungsklauseln stellen grundsätzlich Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) dar, d. h. Vertragsklauseln, die der Arbeitgeber einseitig vorformuliert hat und dem Arbeitnehmer bei Vertragsschluss zur Annahme stellt. Als solche bergen sie die Gefahr, dass sie intransparent und damit unwirksam sind, wenn sie die Höhe der abgegoltenen Überstunden nicht konkret beziffern. Dies gilt für einzelvertragliche Vereinbarungen wie auch für Betriebsvereinbarungen. Soll eine gewisse Anzahl an Überstunden mit dem Gehalt abgedeckt sein, so ist der Umfang konkret zu benennen. Nur in Ausnahmefällen – z. B. wenn das Gehalt über der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung liegt oder der Arbeitnehmer Dienste höherer Art leistet – können alle Überstunden pauschal mit dem Gehalt abgegolten werden, da es dann auch an der objektiven Vergütungserwartung fehlt (siehe oben).
Überstundenzuschläge
Auch bei Teilzeitbeschäftigten ist auf eine rechtskonforme Überstundenvergütung zu achten. Ein hochaktuelles Urteil des BAG stärkt in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Rechte von Teilzeitbeschäftigten: Das BAG entschied, dass es gegen das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter (§ 4 Abs. 1 TzBfG) verstößt, wenn in tarifvertraglichen Regelungen Überstundenzuschläge nur für Arbeitszeiten gezahlt werden, die über die regelmäßige Arbeitszeit von Vollzeitkräften hinausgehen (vgl. BAG, Urteil vom 05.12.2024 – Az.: 8 AZR 370/20). Diese Regelung, die unabhängig von der individuellen Arbeitszeit für Überstundenzuschläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzt, diskriminiert Teilzeitkräfte, da sie nicht nur ihre individuell vereinbarte Arbeitszeit überschreiten müssen, bevor sie in den Genuss von Überstundenzuschlägen kommen, sondern die – noch höhere – Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten. Dem Urteil des BAG vorangegangen war eine Entscheidung des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 29.07.2024 – Az.: C-184/22), denn der Senat des Revisionsverfahrens hatte in diesem Fall den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um die Beantwortung von Rechtsfragen betreffend die Auslegung des Unionsrechts ersucht.
Der EuGH wies in seiner Entscheidung auch die gängige Argumentation zurück, dass diese Regelung Arbeitgeber motivieren soll, Überstunden generell zu minimieren. Das Gericht betonte, dass derartige Regelungen nicht gerechtfertigt werden können, wenn sie eine Ungleichbehandlung zwischen Teil- und Vollzeitbeschäftigten bewirken. Damit wird klargestellt, dass diesbezüglich der Grundsatz der Gleichbehandlung anzuwenden ist und Arbeitgeber angehalten sind, ihre Vergütungsstrukturen europarechtskonform zu gestalten.
Zusammenfassung
Überstunden und Mehrarbeit sind in vielen Unternehmen Teil des Arbeitsalltags. Doch Arbeitgeber müssen genaue Kenntnis darüber haben, welche Regeln und Gesetze dabei beachtet werden müssen. Von der Anordnung etwaiger Überstunden über deren Vergütung und die Beachtung der gesetzlich festgelegten Höchstarbeitszeit bis hin zur Mitbestimmung durch den Betriebsrat gibt es eine Reihe von Aspekten, die für Unternehmen relevant sind.
Der Überstundenabbau entspricht außerdem keiner zusätzlichen Urlaubsgewährung. Das bedeutet insbesondere, dass Urlaubstage bei Krankheit wieder gutgeschrieben werden müssen, dies aber nicht für den Abbau von Überstunden gilt.
Insbesondere die pauschale Abgeltung von Überstunden ist ein heikles Thema: Pauschale Formulierungen in Verträgen oder Betriebsvereinbarungen können schnell zu rechtlichen Fallstricken führen. Um auf der sicheren Seite zu sein, sollten Überstundenvergütungen konkret und transparent geregelt werden.
Der Betriebsrat hat bei der Anordnung von Überstunden immer ein Mitbestimmungsrecht, was für Arbeitgeber eine zusätzliche Dimension der Planung und Kommunikation erfordert. Selbst in dringenden oder kurzfristigen Fällen ist deshalb eine rechtzeitige Abstimmung erforderlich, um Konflikte zu vermeiden. Daher ist die Einführung von Rahmenvereinbarungen mit dem Betriebsrat eine sinnvolle Ergänzung zu den vertraglichen Regelungen. Sie ermöglichen mehr Flexibilität bei der Handhabung von Überstunden, ohne dabei die Rechte der Arbeitnehmer zu gefährden.