Einführung
Nachträglich als fehlerhaft erkannte Steuererklärungen sind nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO unverzüglich zu berichtigen. Auch wenn ein Steuerpflichtiger dieser Verpflichtung ordnungsgemäß nachkommt, besteht keine Gewissheit, dass die Finanzverwaltung die Berichtigung ebenfalls als rein steuerliche Berichtigung qualifiziert. Nicht selten wird – zunächst ohne weitere Sachverhaltsprüfung – der Vorwurf einer leichtfertigen Steuerverkürzung (Ordnungswidrigkeit nach § 378 Abs. 1 AO) oder sogar einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung (Steuerstraftat nach § 370 Abs. 1 AO) erhoben und die Berichtigung damit als bußgeld- bzw. strafbefreiende Selbstanzeige behandelt.
Nach einem ersten Überblick (Steuerliche Berichtigung vs. strafbefreiende Selbstanzeige – Teil 1) widmet sich Teil 2 der Beitragsserie nun den wesentlichen Voraussetzungen einer wirksamen strafbefreienden Selbstanzeige. Dargestellt werden einerseits deren positive Wirksamkeitsvoraussetzungen („was muss man tun“) und andererseits, wann es in negativer Hinsicht für eine Selbstanzeige zu spät ist („Sperrgründe“). Abschließend werden die wesentlichen Unterschiede zu einer bußgeldbefreienden Selbstanzeige nach § 378 Abs. 3 AO dargestellt, für die wesentlich weniger strenge Voraussetzungen gelten.
Voraussetzungen einer Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO
Eine wirksamen Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO ist an eine ganze Reihe von Voraussetzungen geknüpft. Die Anforderungen sind streng und sollen sicherstellen, dass mit der Anzeige eine freiwillige und vollständige Offenlegung aller Hinterziehungssachverhalte erfolgt.
Inhalt der Selbstanzeige – Vollständigkeitsgebot
Um Straffreiheit zu erlangen, muss der Steuerpflichtige seine bisherigen Angaben zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart (also z. B. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Erbschaftsteuer), mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre in vollem Umfang berichtigen, ergänzen oder unterlassene Angaben nachholen.
Es gilt der Grundsatz der vollständigen Materiallieferung. Der Steuerpflichtige muss also mit der Selbstanzeige so viel „Material“ liefern, dass die Finanzbehörde in der Lage ist, die Steuer ohne weitere langwierige eigene Ermittlungen zutreffend zu veranlagen. Er muss die steuerlich erheblichen Tatsachen schildern und konkrete Zahlenangaben zu den Besteuerungsgrundlagen machen. Eine gestufte Selbstanzeige, also zunächst die Anzeige der Unrichtigkeit bzw. die Ankündigung einer späteren Berichtigung, ist – anders als bei einer Berichtigung nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO – nicht zulässig. Eine Selbstanzeige auf Basis (zunächst) geschätzter Besteuerungsgrundlagen ist hingegen möglich, wobei – gegebenenfalls durch ausreichende Sicherheitszuschläge – sichergestellt werden muss, dass die Schätzung nicht hinter den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen zurückbleibt.
Eine „Nachbesserung“ einer zunächst unvollständigen (Teil-)Selbstanzeige kommt nicht in Betracht, lediglich Bagatellabweichungen von max. 5 Prozent der nacherklärten Steuern sollen nicht zu einem Ausschluss der Straffreiheit führen (vgl. BGH vom 25.07.2011 – 1 StR 631/10, wistra 2011, 428). Das Vollständigkeitsgebot bezieht sich nicht auf die gesamte Steuerstrafsituation des Steuerpflichtigen, sondern – wie oben bereits angeführt – nur auf alle Steuerstraftaten derselben Steuerart. Nach überwiegender Ansicht sind auch die Lohn- und die Kapitalertragsteuer als jeweilige Erhebungsform der Einkommensteuer eigene Steuerarten i. S. d. § 371 Abs. 1 AO (vgl. Kohlmann/Schauf, Steuerstrafrecht, § 371 Rn. 129).
(Mindest-)Berichtigungszeitraum
Orientiert sich der Zeitraum einer Berichtigung nach § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO am Ablauf der regelmäßig vierjährigen steuerlichen Festsetzungsfrist, knüpft eine Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO an steuerstrafrechtliche Verjährungsvorschriften an. So muss eine Selbstanzeige im Falle einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung Angaben zu allen (strafrechtlich) unverjährten Steuerstraftaten enthalten, wobei für eine einfache Steuerhinterziehung eine Verjährungsfrist von fünf Jahren und für eine besonders schwere Steuerhinterziehung (z. B. Hinterziehung von mehr als 50.000 Euro pro Steuerart und Besteuerungszeitraum) gegebenenfalls eine Frist von 15 Jahren gilt. Mindestens sind Angaben zu allen Steuerstraftaten der letzten zehn Kalenderjahre erforderlich (sog. „Mindestberichtigungszeitraum“).
In den gesetzlich nicht näher definierten Mindestberichtigungszeitraum fallen nach überwiegender Auffassung alle Steuerstraftaten derjenigen zehn Kalenderjahre, die dem Jahr der Abgabe der Selbstanzeige vorangehen. Eine im Jahr 2024 erstattete Selbstanzeige muss hiernach zumindest die in den Jahren ab 2014 verwirklichten Steuerstraftaten erfassen, wobei weiterhin unklar ist, ob insoweit auf den Zeitpunkt der Tatbegehung (Abgabe der unrichtigen Steuererklärung bzw. deren Unterlassen) oder auf den Zeitpunkt der Tatbeendigung (Bekanntgabe des unrichtigen Steuerbescheids) abzustellen ist (vgl. hierzu den Erlass des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalen vom 12.01.2016 – S 0702 – 8f – V A 1).
Es liegt auf der Hand, dass eine vollständige Berichtigung für zehn oder sogar 15 Jahre gerade bei Hinterziehungssachverhalten im Unternehmenskontext die dort handelnden Personen vor kaum zu bewältigende praktische Herausforderungen (Personalfluktuation, nicht ausreichende Dokumentation von Geschäftsvorfällen) stellt.
Fristgerechte Nachzahlung der verkürzten Steuern und Zinsen
Die zu eigenen Gunsten hinterzogenen Steuern sind ebenso wie Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und Zinsen nach § 233a AO nachzuzahlen. Aufgrund des Wortlauts („zu seinen Gunsten“) trifft die Nachzahlungspflicht jedenfalls den Täter oder Teilnehmer, der selbst Steuerschuldner ist oder bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise durch die Tat einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangt. Praktische Bedeutung kann diese Frage insbesondere bei der Hinterziehung betrieblicher Steuern durch Organe juristischer Personen oder Personenvereinigungen erlangen. Der angestellte Geschäftsführer einer Gesellschaft, der Steuern einer Gesellschaft hinterzogen hat, ohne am Gesellschaftsvermögen beteiligt zu sein oder sonstige gewinnabhängige Leistungen zu erhalten, erlangt regelmäßig keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil. Eine persönliche Nachzahlung der Unternehmenssteuern ist daher nicht Voraussetzung einer Strafbefreiung, wobei sich diese Frage in der Praxis allenfalls dann stellt, wenn die steuerpflichtige Gesellschaft aufgrund einer Krisensituation zur Zahlung nicht in der Lage wäre.
Eine unverzügliche Zahlung mit Abgabe der Selbstanzeige kann sich zwar im Einzelfall anbieten, ist aber nicht Voraussetzung einer wirksamen Selbstanzeige. Unabhängig von der Zahlungsfähigkeit besteht ein Anspruch auf eine angemessene Fristsetzung für die Nachzahlung der hinterzogenen Steuern. In der Praxis wird von einer gesonderten Fristsetzung häufig abgesehen, stattdessen wird lediglich auf die in geänderten Steuerbescheiden genannten gesetzlichen Fälligkeitsfristen abgestellt.
Sperrgründe nach § 371 Abs. 2 Satz 1 AO
Eine strafbefreiende Selbstanzeige ist nicht mehr möglich, wenn vor ihrer Abgabe einer der in § 371 Abs. 2 Satz 1 AO genannten Sperrgründe eintritt. Die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige soll dem Steuerpflichtigen nur so lange zugutekommen, wie es zur Aufdeckung bislang unbekannter Steuerquellen notwendig erscheint. Wurden diese bereits durch den Fiskus entdeckt bzw. steht eine Entdeckung kurz bevor, ist eine Mitwirkung des Steuerpflichtigen nicht mehr erforderlich. Insbesondere die folgenden Sperrgründe spielen in der Praxis eine Rolle:
Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO)
Eine strafbefreiende Selbstanzeige ist nicht mehr wirksam, wenn dem Steuerpflichtigen zuvor eine Anordnung zur Außenprüfung nach § 196 AO bekannt gegeben wurde. Die Sperrwirkung ist auf den sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich der angekündigten Außenprüfung beschränkt, also auf die hier geprüften Steuerarten und den angegebenen Prüfungszeitraum. Eine strafbefreiende Selbstanzeige für diejenigen Steuerarten und Veranlagungszeiträume, die nicht in der Prüfungsanordnung aufgeführt sind, bleibt möglich. Eine „allgemeine“ Prüfungsanordnung bzgl. Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer schließt also zum Beispiel eine Selbstanzeige für die Lohnsteuer oder andere Abzugsteuern (Kapitalertragsteuer etc.) nicht aus.
Es kann für Unternehmen gerade in einer Phase zwischen zwei Prüfungen sinnvoll sein, interne Überprüfungen durchzuführen, um etwaige Fehler rechtzeitig zu identifizieren und diese gegebenenfalls noch korrigieren zu können. Für anschlussgeprüfte Unternehmen scheidet die Möglichkeit einer vollständigen Strafbefreiung hingegen aus. Im Übrigen lebt die Möglichkeit zur Selbstanzeige nach Abschluss der Prüfung wieder auf, wenn die Steuerstraftat bei der steuerlichen Prüfung nicht aufgedeckt wird.
Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AO)
Eine Selbstanzeige ist ferner ausgeschlossen, wenn dem an der Tat Beteiligten zuvor die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben wurde. In sachlicher Hinsicht ist die Sperrwirkung auf die von der Verfahrenseinleitung erfassten Steuerarten beschränkt. Betrifft das eingeleitete Verfahren zum Beispiel die Einkommensteuer, ist eine Selbstanzeige wegen Umsatzsteuer noch möglich. Zeitlich gilt die Sperrwirkung für alle noch nicht verjährten Jahre einer Steuerart unbefristet, sodass z. B. bei einer auf die Jahre 2019 bis 2022 beschränkten Verfahrenseinleitung eine Selbstanzeige auch für die Zeiträume davor oder danach nicht mehr möglich ist.
Entdeckung der Tat (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO)
Die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige tritt gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO auch dann nicht ein, wenn die Tat im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit hätte rechnen müssen.
Für den Eintritt der Sperrwirkung ist insbesondere entscheidend, dass die Tat durch die Finanzbehörden, die Polizei oder die Staatsanwaltschaft bzw. auch durch Gerichte oder zur Weiterleitung steuerstrafrechtlicher Erkenntnisse verpflichtete andere Behörden objektiv entdeckt ist. Erforderlich hierfür ist nicht nur ein Anfangsverdacht, sondern vielmehr ein Tatverdacht, der sich so weit konkretisiert hat, dass er auf der Grundlage einer vorläufigen Tatbewertung eine Aburteilung als Steuerstraftat rechtfertigen kann. Von einer solchen Tatentdeckung ist regelmäßig noch nicht auszugehen, wenn das Finanzamt aufgrund einer Kontrollmitteilung oder anderer behördenintern erlangter Erkenntnisse zunächst ein Auskunftsersuchen nach § 93 AO an den Steuerpflichtigen richtet. Dies ist vielmehr als „Einladung“ zu einer Selbstanzeige zu verstehen.
Ausschluss der Selbstanzeige bei einer Steuerhinterziehung von mehr als 25.000 Euro (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO)
Nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO tritt die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige nicht automatisch ein, wenn die durch die Anzeige offenbarte Steuerhinterziehung einen Betrag von 25.000 Euro je Tat übersteigt. Dem Steuerpflichtigen bleibt in diesem Fall nur eine Einstellung nach § 398a AO, die neben der Bezahlung der hinterzogenen Steuern die Zahlung eines Zuschlags innerhalb angemessener Frist voraussetzt. Die Höhe des Zuschlags ist hängt von den verkürzten Steuern ab und beträgt bei einer Summe von mehr als 25.000 Euro 10 Prozent, ab 100.000 Euro 15 Prozent und bei mehr als 1 Mio. Euro 20 Prozent der hinterzogenen Steuer.
Ob eine Hinterziehung in diesem Ausmaß vorliegt, ist für jede einzelne Tat gesondert zu ermitteln. Es sind also nicht die mehrere Steuerarten, Besteuerungszeiträume und ggf. Steuerpflichtige betreffende Hinterziehungsbeträge zu addieren.
Erleichterungen bei Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen (§ 371 Abs. 2a AO)
Eine strafbefreiende Selbstanzeige im Bereich der Umsatzsteuer-Voranmeldungen und der Lohnsteueranmeldungen ist unter wesentlich erleichterten Voraussetzungen möglich.
Straffreiheit tritt hier abweichend von der allgemeinen Regelung in dem Umfang ein, in dem der Steuerpflichtige gegenüber der zuständigen Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. Das Vollständigkeitsgebot gilt hier also nicht, was insbesondere auch eine mehrfache Berichtigung derselben Umsatzsteuer-Voranmeldung bzw. Lohnsteueranmeldung ermöglicht. Hintergrund hierfür ist, dass es gerade in Unternehmen aufgrund der Komplexität der zugrunde liegenden Geschäftsvorfälle ansonsten praktisch ausgeschlossen wäre, das Vollständigkeitsgebot zu beachten. Hinzu kommt, dass in Massenverfahren Fehler dieser Art prinzipiell nicht auszuschließen sind, sodass in der Praxis oft mehrfache Korrekturen von Umsatzsteuer-Voranmeldungen oder Lohnsteueranmeldungen erforderlich sind.
Soweit sich eine Selbstanzeige auf Umsatzsteuer-Voranmeldungen oder Lohnsteueranmeldungen bezieht, setzt deren Wirksamkeit auch bei Hinterziehungsbeträgen von mehr als 25.000 Euro nicht die Zahlung der oben dargestellten Zuschläge voraus. Zu beachten ist, dass die genannten Erleichterungen nicht für andere Steueranmeldungen (Abzugsteuern nach § 50a EStG, Kapitalertragsteuer) und die Umsatzsteuerjahreserklärung gelten.
Selbstanzeige bei leichtfertiger Steuerverkürzung
§ 378 Abs. 3 AO eröffnet analog zu § 371 AO die Möglichkeit einer bußgeldbefreienden Selbstanzeige, die allerdings an weit weniger strenge Voraussetzungen geknüpft ist.
Im Gegensatz zur strafbefreienden Selbstanzeige unterliegt die bußgeldbefreiende Selbstanzeige nicht dem Vollständigkeitsgebot, was sowohl eine Teilselbstanzeige als auch die mehrfache Berichtigung von Steuererklärungen bzw. Steueranmeldungen ermöglicht. Es gibt keinen Mindestberichtigungszeitraum, in zeitlicher Hinsicht sollte sich die Berichtigung bei Dauersachverhalten an der Verjährung der Ordnungswidrigkeit orientieren, für die eine Verjährungsfrist von fünf Jahren gilt.
Andes als die strafbefreiende Selbstanzeige kennt die bußgeldbefreiende Selbstanzeige nur den Sperrgrund der Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens, wobei dieser aber nur die von der Bekanntgabe erfassten Jahre umfasst. Eine bußgeldbefreiende Selbstanzeige ist also insbesondere auch im Falle einer steuerlichen Außenprüfung nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung noch möglich. Eine vorherige Tatentdeckung ist ebenso wenig ein Sperrgrund, wie die Wirksamkeit der Selbstanzeige von der Zahlung von Zuschlägen nach § 398a AO abhängig ist.