Person in Businesskleidung hält Pappkarton mit ihren Sachen im Arm

Rechtmäßigkeit von Kündigungen bei rechtswidrigem Streik

Die Teilnahme an einem nicht gewerkschaftlich organisierten Streik kann Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung berechtigen (LAG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 25.04.2023, Az.: 16 Sa 868/22, 16 Sa 869/22, 16 Sa 871/22).

Sachverhalt

Arbeitnehmer eines Berliner Unternehmens nahmen an einem Streik für bessere Arbeitsbedingungen teil, zu dem von einer Gruppierung von Arbeitnehmern im Rahmen einer WhatsApp-Gruppe aufgerufen worden war. Der nicht gewerkschaftlich organisierte Streik hatte die fristlose außerordentliche Kündigung von teilnehmenden Arbeitnehmern zur Folge, nachdem der Arbeitgeber diese über den Streikzeitraum von drei Tagen mehrfach erfolglos dazu aufgefordert hatte, die vereinbarten Arbeitsleistungen zu erbringen. Drei betroffene Arbeitnehmer wehrten sich gegen die ausgesprochenen Kündigungen und erhoben jeweils eine Kündigungsschutzklage, die im April 2022 durch das Arbeitsgericht Berlin abgewiesen wurde (Urteile vom 06.04.2022, Az.: 20 Ca 10257/21, 20 Ca 10258/21, 20 Ca 10259/21). Die Kläger beriefen sich auf den Schutz der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG, der nach ihrer Ansicht auch die Teilnahme an einem nicht gewerkschaftlich organisierten Streik umfasse. Weiterhin beriefen sie sich auf das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB. In zwei der Fälle erachtete das Arbeitsgericht die fristlosen außerordentlichen Kündigungen für wirksam. Im dritten Fall stellte das Arbeitsgericht fest, dass das Arbeitsverhältnis zwar nicht fristlos, aber jedenfalls nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist von zwei Wochen im Rahmen der Probezeit geendet hat. In diesem dritten Fall konnte die aktive Beteiligung des betroffenen Arbeitnehmers an der Protestaktion zumindest nicht sicher festgestellt werden. Gegen die jeweilige Entscheidung legten die betroffenen Arbeitnehmer Berufung vor dem LAG Berlin-Brandenburg (LAG) ein.

    Entscheidung

    Das LAG hat – wie das Arbeitsgericht zuvor – die Rechtmäßigkeit der ausgesprochenen Kündigungen bestätigt. Die Teilnahme an dem nicht gewerkschaftlich organisierten und damit „wilden“ Streik ist nach Auffassung des Gerichts keine zulässige Ausübung einer Arbeitskampfmaßnahme gemäß Art. 9 Abs. 3 GG, sodass die Verweigerung der Erfüllung der Arbeitspflicht – trotz mehrmaliger Aufforderung zur Erbringung der Arbeitsleistung seitens des Arbeitgebers – eine wesentliche Pflichtverletzung darstellt. Bei der oben benannten WhatsApp-Gruppe handle es sich nicht um eine Koalition i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG, die Gruppierung erfülle nicht die strukturellen Anforderungen. Ferner fehle es u. a. an einer schlüssigen Darlegung, inwieweit die Mitglieder freiwillig der Gruppierung angehörten und ob diese eine demokratische Struktur darstelle. Eine Abstimmung seitens der Mitglieder bezüglich der mit dem Streik verlangten Forderungen sei für eine demokratische Struktur erforderlich, so das LAG. Die bloße Diskussion über mögliche Forderungen in der WhatsApp-Gruppe ersetze die erforderliche Abstimmung nicht. Die beharrliche Verweigerung der Erfüllung der Arbeitspflichten stelle somit einen wichtigen Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB dar, der den Arbeitgeber zur fristlosen außerordentlichen Kündigung berechtigt habe. Insbesondere bedürfe es in derart gelagerten Fällen auch keiner vorherigen Abmahnung.

    Praxishinweis

    Mit seinen Entscheidungen betont das LAG die Voraussetzungen für eine Koalition i. S. d. Art. 9 Abs. 3 GG und die weitreichenden Folgen für Arbeitnehmer bei der Teilnahme an einem nicht gewerkschaftlich organisierten und damit „wilden“ Streik. Damit stärkt das Urteil die Position von Arbeitgebern, indem es auch die Anforderungen an Kündigungen in solchen Fällen konkret festlegt und dadurch erhebliche Rechtssicherheit für ähnlich gelagerte Fälle schafft.