Business Partner schütteln sich die Hände

Mehr Angebote, mehr Wettbewerb – Mittel zur Steigerung der Attraktivität öffentlicher Ausschreibungen

Komplexe und langwierige Vergabeverfahren, hohe Hürden für die Teilnahme an Vergabeverfahren, große kapazitive Aufwände für Unternehmen bei der Angebotserstellung bei gleichzeitigem Fachkräftemangel – sehr häufig beteiligen sich nur wenige, oftmals nur ein einziger Bieter an Vergabeverfahren. Was ist die Folge und wie können Auftraggeber gegensteuern? Wer hat überhaupt das Vergaberecht anzuwenden?

Notwendige Anwendung des Vergaberechts

Das Vergaberecht haben nicht nur die klassischen öffentlichen Auftraggeber (z. B. Bund, Länder, Kommunen, Hochschulen, Rentenversicherungsträger, Stadtwerke und andere kommunale Eigenbetriebe, Sektorenauftraggeber, etwa im Bereich Verkehr, Energieversorgung und Verkehr) anzuwenden. Häufig beruht die Notwendigkeit der Anwendung des Vergaberechts auch auf Förderbescheiden, in denen für Auftraggeber, die sich sonst nicht an das Vergaberecht halten müssen, die Anwendung des Vergaberechts vorgegeben wird. Eine Nichtanwendung kann auch nach vielen Jahren noch zur Rückforderung der Fördermittel führen.

Symptom: zu geringe Bieterbeteiligung

In einem im Dezember 2023 veröffentlichten Bericht zeichnen die Prüfer des Europäischen Rechnungshofs ein ernüchterndes Bild: Der Wettbewerb in den meisten EU-Staaten ist zurückgegangen, es besteht immer weniger Interesse, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen. Dabei ist die Anzahl der an Vergabeverfahren beteiligten Bieter ein zentraler Wettbewerbsindikator und der hohe Anteil der Verfahren mit nur einem Bieter in den meisten Mitgliedstaaten der EU als unbefriedigend einzuordnen.

Auch aus unserer Beratungspraxis ist das Problem einer geringen Beteiligung von Unternehmen an Vergabeverfahren seit Jahren bekannt.

Mit einer geringen Bieterbeteiligung an Vergabevergabeverfahren steigt die Gefahr, dass die jeweiligen Beschaffungen nicht wirtschaftlich sind; ein schwacher Bieterwettbewerb sorgt grundsätzlich für hohe Preise bei allenfalls mäßiger Qualität. Damit trifft diese Konsequenz Auftraggeber im Kern ihrer Aufgaben. Dass Auftraggeber am Ende des Vergabeverfahrens mit dem Zuschlag eine Auswahlentscheidung zu treffen haben, wird de facto zur Farce.

Diagnose: Woran krankt es?

Chancen zur Steigerung der Bieterbeteiligung an Vergabeverfahren können nur dann genutzt werden, wenn an den Ursachen des geringen Bieterwettbewerbs angesetzt wird. Dabei bewerten Bieter etwa laut dem oben genannten Bericht des Europäischen Rechnungshofs die Dauer von Vergabeverfahren als zu lang, Vergabeverfahren als zu kompliziert und beklagen insgesamt die Unattraktivität öffentlicher Aufträge. Auch sei der niedrige Preis noch immer das bevorzugte Zuschlagskriterium, die Vergabe nach qualitativen, ökologischen, sozialen und/oder innovativen Kriterien habe nur nachrangige Bedeutung. Vor allem mit Blick auf ökologische und soziale Kriterien (Nachhaltigkeitskriterien) ist zu betonen, dass eine Vergabe hiernach gerade politisches Ziel ist und daher insbesondere klassische öffentliche Auftraggeber hier eine Leitbildfunktion haben (sollten).

Die fehlende Attraktivität öffentlicher Aufträge lässt sich dabei weiterhin konkret etwa auf formale Hürden, hohe personelle und zeitliche Aufwände aufseiten der Unternehmen für die Angebotserstellung, zu hohe und nicht marktgerechte Anforderungen, schlechte Planung, Intransparenz und Zugangsbarrieren zum Wettbewerb, etwa durch zu eng bestimmte Referenzvorgaben, zurückführen.

    Erfolgsrezepte: Was hilft?

    Die Möglichkeiten, den Kreis potenzieller Bieter zu erhöhen, sind dabei – ebenso wie die Ursachen der geringen Bieterbeteiligung – vielfältig.

    Änderung des Selbstverständnisses des Einkaufs

    Die erste Weichenstellung schafft der Auftraggeber durch ein neues Selbstverständnis des Einkaufs. Dieser sollte sich als strategischer Facheinkauf verstehen, der Vergabeverfahren nicht lediglich operativ durchpeitscht. Vielmehr sollte er mit dem Ziel wirtschaftlicher Beschaffungen und damit eines optimalen Kosten-Nutzen-Verhältnisses der jeweiligen Beschaffung einen echten Wertschöpfungsbeitrag für die Aufgabenerledigung des Auftraggebers leisten.

    Vereinfachung und Standardisierung von Formblättern

    Ein konkreter Anknüpfungspunkt für eine Intensivierung von Wettbewerb ist etwa die Standardisierung von Formblättern. Diese sollten einfacher und übersichtlicher gestaltet werden, Redundanzen oder gar Widersprüche in quantitativer Hinsicht sollten „eingedampft“ und die Inhalte an die jeweils aktuelle Rechtslage angepasst werden. Bereits hiermit entsteht ein Beitrag zur Reduzierung der Aufwände bei den Unternehmen.

    Gute Marktkenntnis

    Eine weitere Zielstellung liegt darin, jeweils sinnvolle Vergabestrategien/-konzeptionen für Beschaffungen aufzusetzen – „Kenne deinen Markt“ ist hier oberste Prämisse. Denn der Markt wird vom Auftraggeber nur erreicht, wenn dieser ihn kennt, etwa in Bezug auf

    (i) Produkte, deren Eigenschaften oder Innovationsgrad,

    (ii) die Geschäftsmodelle der Anbieter und

    (iii) die jeweilige Form des Anbietermarktes – also ob etwa in Bezug auf den jeweiligen Beschaffungsgegenstand ein Polypol oder ein Monopol vorliegt.

    Erst auf der Grundlage einer dezidierten Marktkenntnis kann der Auftraggeber eine fundierte Entscheidung treffen, ob er im Hinblick auf den Zugang von Unternehmen zum Bieterwettbewerb etwa Eignungskriterien bzw. Anforderungen an den Beschaffungsgegenstand, Ausschlusskriterien und qualitative Bewertungskriterien eher eng oder weit gestaltet. Auf diese Weise kann beispielsweise Start-ups und kleinen Unternehmen bei innovativen Beschaffungen Zugang zum Wettbewerb verschafft werden. Über eine entsprechende beschaffungsbezogene Markterkundung ist darüber hinaus – je nach Beschaffungsgegenstand – ein Marktdialog im Vorfeld des Vergabeverfahrens empfehlenswert. Denn der aktive Austausch mit dem Markt ist für den Auftraggeber ein probates Mittel, um sich das Know-how des Marktes nutzbar zu machen. Dies hilft auch, die vorgesehenen Anforderungen an den Beschaffungsgegenstand zu reflektieren und entsprechende Beschaffungsvorhaben für das Interesse der Unternehmen aufgrund der damit einhergehenden Publizität zu öffnen.

    Nutzung von Bieter-Know-how und Eingehen auf deren Interessen

    Die Nutzbarmachung von Bieter-Know-how und auch die Implementierung von Bieterinteressen lassen sich ebenfalls durch die Verfahrenswahl und die Gestaltung des Vergabeverfahrens sicherstellen. So ist die Einbringung von Bieterinteressen und deren Know-how ein wesentlicher Punkt, die Attraktivität einer Ausschreibung für Bieter zu erhöhen: Dass etwa das Aufdecken von Fehlern und/oder die Identifizierung von Optimierungspotenzial in der Leistungsbeschreibung im Rahmen der Angebotsbewertung bewertet werden können und damit zugleich das Potenzial späterer Nachträge deutlich verringert werden kann, sei hier nur beispielhaft erwähnt. Ebenso positiv wirkt sich – je nach Beschaffungsgegenstand – die Festlegung qualitativer Zuschlagskriterien aus, da ein reiner Preiskampf einer hohen Bieterbeteiligung nicht zuträglich ist. Ein weiteres Erfolgsrezept für die Intensivierung von Wettbewerb ist schließlich die Öffnung der Verfahren wie auch der jeweiligen ausgeschriebenen Verträge für mehr Flexibilität. Auch hierfür hält das Vergaberecht zahlreiche Instrumente bereit.

    Zusammenfassend beinhaltet das Vergaberecht zahlreiche Regelungen und Ansatzmöglichkeiten, die – entgegen einigen Stimmen – nicht nur verhindernd wirken und aufwendig sind, sondern als wichtige Hebel für eine strategische Beschaffung genutzt werden können und sollten. Insgesamt werden sich sämtliche Maßnahmen und Mittel zur Schaffung von Flexibilität und Öffnung positiv auf die Motivation von Unternehmen, sich an Vergabeverfahren zu beteiligen, und damit auf die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung auswirken.

    Prognose: Wie lässt sich eine auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Beschaffungsstrategie langfristig umsetzen?

    Die eingangs erwähnte Weichenstellung über das Selbstverständnis des Einkaufs als strategischer Facheinkauf ist zentral für die Etablierung einer auf Wirtschaftlichkeit ausgerichteten Beschaffungsstrategie. Dies erfordert bei vielen an das Vergaberecht gebundenen Auftraggebern einen Bewusstseinswandel und folglich eine Transformation des Einkaufs.

    Zentrale Voraussetzung dafür, dass der Einkauf die entsprechend erforderlichen rechtlichen Hebel und Gestaltungsspielräume für zahlreiche Beschaffungsvorhaben systematisch und gezielt nutzen kann, ist neben einer sicheren Vergaberechtsexpertise eine Gewährleistung der Effizienz des Einkaufs. Hierfür sind die verfügbaren Technologien (IT-Systeme), die Organisation des Einkaufs wie auch die einzelnen Prozesse im Einkauf optimal einzustellen.

    Die richtige Aufstellung des Einkaufs ist für die „neuen“ Anwender des Vergaberechts, aber auch teilweise für Auftraggeber, die das Vergaberecht schon lange anwenden müssen, von essenzieller Bedeutung für eine optimale Beschaffung. Aufgrund der erforderlichen Verknüpfung von vergaberechtlicher und Organisations- bzw. Prozessberatung bieten wir als EY Law gemeinsam mit EY Consulting eine entsprechende gesamtheitliche Beratung an.

    Kontaktperson: Julia Fritz