Verfolgung von Organhaftungsansprüchen gegen die Geschäftsleitung in der GmbH und der AG im Vergleich
Der Geschäftsführer der GmbH haftet gegenüber der Gesellschaft gemäß § 43 Abs.2 GmbHG. Die Vorschrift stellt sicher, dass der Geschäftsführer für die Verletzung seiner gesellschaftsrechtlichen Pflichten als Organmitglied einzustehen hat.
Die Haftung des Geschäftsführers gegenüber der GmbH betrifft Schäden, die der GmbH aus einem Handeln des Geschäftsführers in Ausübung seiner Funktion entstehen. § 43 Abs. 1 GmbHG definiert durch die Bezugnahme auf die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers allgemein den für den Geschäftsführer geltenden Pflichtenmaßstab. Da unternehmerische Entscheidungen der Geschäftsführer mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sind, gelten für den Geschäftsführer die Erleichterungen der sog. Business Judgement Rule (Analogie zur Regelung für den Vorstand der AG in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Darin ist festgelegt, dass eine Pflichtverletzung bei der Unternehmensleitung ausscheidet, wenn der Vorstand „bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“.
Die Geltendmachung des Ersatzanspruchs setzt einen Gesellschafterbeschluss voraus. Die Gesellschaft kann im Nachhinein auf Ersatzansprüche gegen den Geschäftsführer durch formlose Vereinbarung verzichten oder sich mit ihm hierüber vergleichen. Ein solcher Verzicht kann sich auf alle denkbaren entstandenen bzw. im Kern angelegten Ersatzansprüche gegen den Geschäftsführer beziehen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie den Gesellschaftern im Zeitpunkt der Vereinbarung bekannt waren oder nicht. Auch hierzu bedarf es eines Gesellschafterbeschlusses mit einfacher Mehrheit. Üblicherweise wird der Verzicht im Rahmen der sogenannten Entlastung im Zusammenhang mit der Feststellung des Jahresabschlusses erklärt.
Anders bei der AG. Der Vorstand einer AG handelt eigenverantwortlich und ist nicht weisungsgebunden. Die ausschließliche Personalkompetenz für den Vorstand liegt beim Aufsichtsrat und nicht bei den Anteilseignern.
Vorstandsmitglieder haften nach § 93 Abs. 2 AktG für Maßnahmen, die die Gesellschaft schädigen, wenn sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht angewendet haben und sich damit nicht auf die Business Judgement Rule berufen können. Wenn ein Vorstandsmitglied durch pflichtwidriges Verhalten der Gesellschaft einen Schaden zugefügt hat, wird seine Ersatzpflicht auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Aufsichtsrat eine Geschäftsführungsmaßnahme geduldet oder ihr ausdrücklich zugestimmt hat.
Der Aufsichtsrat einer AG kann den Vorstand nur in den engen Grenzen des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG von Schadensersatzansprüchen befreien. Voraussetzung für eine wirksame Vergleichs- oder Verzichtsvereinbarung ist, dass seit der Anspruchsentstehung mindestens drei Jahre vergangen sind und die Hauptversammlung zustimmt. Dadurch soll im Interesse der Gläubiger und Minderheitsgesellschafter das Gesellschaftsvermögen geschützt werden. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang zudem entschieden, dass dem Aufsichtsrat einer AG bei der Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen gegen Vorstandsmitglieder kein unternehmerischer Ermessensspielraum zusteht (BGH, Urteil vom 21.04.1997 – Az.: II ZR 175/95; BGH, Urteil vom 08.07.2014 – Az.: II ZR 174/13).
In der AG und der GmbH gelten unterschiedliche Haftungskonzepte. Die Organhaftungsansprüche der GmbH und der AG gegenüber ihren Geschäftsleitungsorganen unterscheiden sich insbesondere in Bezug auf die Möglichkeit von Vergleichs- oder Verzichtserklärungen wesentlich.
Verzichts- und Vergleichsmöglichkeiten durch Umwandlung?
Die Verschmelzung und der Formwechsel sind gängige Umwandlungsmöglichkeiten des Gesellschaftsrechts. Durch den Wechsel des „Rechtskleides“ von der AG zur GmbH könnte die Verzichts- und Vergleichsmöglichkeit auch für Ersatzansprüche aus der Zeit der AG eröffnet werden.
Organhaftungsansprüche der Gesellschaft nach der Verschmelzung der AG auf eine GmbH
Es könnte in verschiedenen Konstellationen für die Gesellschaft, den Aufsichtsrat oder die Organmitglieder selbst attraktiv sein, eine Verschmelzung der AG auf eine GmbH anzustrengen, wenn es nicht opportun oder gewollt ist, Vorstandsmitglieder für Maßnahmen in der AG in die Haftung zu nehmen. Voraussetzung hierfür wäre, dass § 93 Absatz 4 Satz 3 AktG mit seinen Voraussetzungen für den Verzicht nach der Verschmelzung nicht weiter anwendbar ist, was jedoch in der rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten ist.
Nach einer Auffassung ändert die Verschmelzung nichts an der rechtlichen Bedeutung des unternehmerischen Fehlverhaltens und die besondere Verantwortung der Organmitglieder gebietet eine besondere Behandlung der gegen sie gerichteten Ersatzansprüche und die Fortgeltung der Beschränkungen des § 93 Abs. 4 AktG (Grunewald, in: Bayer/Vetter, UmwG, 5. Aufl., 2014, § 20 Rn. 30.). Für diese Auffassung der Literatur spricht, dass die umwandlungsrechtliche Folge einer Verschmelzung eine Gesamtrechtsnachfolge in alle Rechte und Pflichten des übertragenden Rechtsträgers ist. Das könnte für eine Kontinuität des unternehmerischen Verantwortungssystems der AG und damit auch für die Fortgeltung der Verzichts- und Vergleichsbeschränkungen sprechen.
Die herrschende Meinung ist jedoch der Auffassung, dass die Aktionäre durch ihre Entscheidung bzw. Beschlussfassung zur Verschmelzung auf eine Gesellschaft anderer Rechtsform die Organstruktur und das Schutzsystem der AG bewusst aufgeben und eben nicht länger der Regulatorik der AG unterliegen wollen. Sie sieht daher eine weitere Anwendung des Aktienrechts in der neuen Rechtsform als „unbillig“ an (Hoffmann-Becking, in: Festschrift Ulmer, 2003, S. 243, 263 f.). Außerdem seien die Beschränkungen des § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG bei einer Geltendmachung durch den übernehmenden Rechtsträger nicht anwendbar, da hier typischerweise nicht die Konfliktlage bestehe, vor der die Norm schützen wolle (BeckOGK/Rieckers/Cloppenburg, 01.07.2024, UmwG § 20 Rn. 86 m. w. N.; Koch, AktG , 18. Aufl. 2024, § 93 Rn. 159). Der Aufsichtsrat einer AG fällt bei der Verschmelzung auf eine GmbH weg.
Mit der Verschmelzung auf eine GmbH endet folglich nach der herrschenden Meinung die Beschränkung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG. Die Vorschrift ist dann nach Wortlaut nicht mehr anwendbar und für einen entsprechenden Analogieschluss fehlt die Regelungslücke.
Organhaftungsansprüche der Gesellschaft nach dem Formwechsel der AG in eine GmbH
Das gleiche Ergebnis könnte möglicherweise durch einen umwandlungsrechtlichen Formwechsel von der AG in eine GmbH erreicht werden. Im Rahmen eines Formwechsels besteht eine wirtschaftliche und rechtliche Kontinuität des Rechtsträgers vor und nach dem Formwechsel. Eine Vermögensübertragung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge findet, im Gegensatz zur Verschmelzung, nicht statt. Wie bei der Verschmelzung ändert sich durch den Formwechsel die rechtliche Organisation der Gesellschaft und damit die auf sie anwendbare Rechtsordnung. Das Amt des Vorstands und des Aufsichtsrats des formwechselnden Rechtsträgers erlischt.
Die Organhaftung eines ehemaligen Vorstandsmitglieds nach dem Formwechsel der AG in eine GmbH bewegt sich damit im Spannungsverhältnis zwischen der neu geschaffenen Regulatorik der GmbH und der Fortgeltung der materiellen Haftungsnorm des § 93 Abs. 2 AktG und damit auch der Beschränkungen des § 93 Abs. 4. Ansprüche der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter und Organmitglieder werden zwar durch einen Formwechsel nicht in ihrem Bestand berührt, die Regelungen, denen sie unterliegen, bestimmen sich aber nach dem für die neue Rechtsform anwendbaren Recht.
Auch im Falle des Formwechsels gilt, dass sich die Aktionäre im Rahmen des Formwechselbeschlusses bewusst für die Geltung eines anderen – weniger strengen – Rechtsrahmens entschieden haben. Eine Fortgeltung der dreijährigen Sperrfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG im Anschluss an einen Formwechsel einer AG in eine GmbH ist nicht angezeigt. Der Grund hierfür liegt nach einer überzeugenden Ansicht in der Literatur nicht nur darin, dass sich die Aktionäre im Rahmen des Formwechselbeschlusses bewusst für die Geltung eines anderen Rechtsrahmens hinsichtlich der Organhaftung entschieden haben. Vielmehr spreche der Sinn und Zweck der Norm gegen seine Anwendung, denn es handle sich nicht um einen Bestandteil der materiellen Haftungsnorm, sondern um einen Baustein der spezifisch aktienrechtlichen Kompetenzzuweisung, die auf die GmbH nicht übertragbar sei (Allmendinger/Lüneborg, ZIP 2017, S. 1851).
Mit dem Formwechsel in eine GmbH endet wie bei der Verschmelzung die Beschränkung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG. Die Vorschrift ist dann nach Wortlaut nicht mehr anwendbar und für einen entsprechenden Analogieschluss fehlt auch hier die Regelungslücke (Koch, AktG, 18. Aufl. 2024, § 93 Rn. 159).
Verjährung, § 93 Abs. 6 AktG
§ 93 Abs. 6 AktG sieht für Pflichtverletzungen von Organmitgliedern eine Verjährungsfrist von zehn Jahren bei Gesellschaften, die zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung börsennotiert sind, und von fünf Jahren bei anderen Gesellschaften vor. Die Frist beginnt mit Entstehung des Anspruchs, maßgeblich dafür ist die Möglichkeit klageweiser Durchsetzung, ohne dass der Schaden schon voll überblickbar sein muss (Koch, AktG, 18. Aufl. 2024, § 93 Rn. 159). Für den Fall einer nachträglichen Umwandlung gilt: Selbst wenn die Verzichts- und Vergleichsbeschränkungen infolge einer solchen wegfallen mögen, bleibt es bei der nach § 93 Abs. 6 AktG bestimmten Verjährungsfrist.