Ärzte am OP-Tisch

Ein weiter Weg: Kinderkrankheiten des „Bundes-Klinik-Atlas“ - was Krankenhäuser wissen sollten


Zum 17.05.2024 wurde mit dem Krankenhaustransparenzgesetz in § 135d SGB V der sog. „Bundes-Klinik-Atlas“ mit dem Ziel eingeführt, durch öffentliche Information die Qualität der Behandlung und das stationäre Leistungsangebot transparenter zu machen (BT-Drs. 20/8408, S. 18). Diese staatliche Information trifft auf scharfe Kritik bei Krankenhäusern und Rechtsexperten. So bringe die Initiative keine Neuerung, zudem seien die veröffentlichten Informationen oft fehlerhaft. Betroffene Krankenhäuser sollten daher ihre Möglichkeit kennen, zentral gegen Veröffentlichungen vorzugehen.

I. Der Bundes-Klinik-Atlas

Der Bundes-Klinik-Atlas veröffentlicht bestimmte Informationen zu Krankenhausstandorten. Diese Informationen werden vom Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) vorbereitet (vgl. § 135d Abs. 2 SGB V) und fortlaufend aktualisiert. Verantwortlich für die Veröffentlichung ist das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (vgl. § 135d Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V).

a) Fallzahlen und Leistungsgruppen

Als Informationsbasis dienen die durch die Krankenhäuser am jeweiligen Standort erbrachten und abgerechneten Leistungen („Fallzahlen“) (BT-Drs. 20/8904, S. 24). Dieser einheitliche Datensatz soll für die Öffentlichkeit die Transparenz der Leistungserbringung erhöhen (BT-Drs. 20/8408, S. 20). Die Fallzahlen werden dann den 65 bundeseinheitlichen Leistungsgruppen der Anlage 1 zu § 135d SGB V zugeordnet (vgl. § 135d Abs. 3 SGB V).

b) Versorgungsstufen („Level“)

Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus weist jedem Krankenhausstandort (nachfolgend „Standort“) eine Versorgungsstufe („Level“) zu (vgl. § 135d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB V). Dies soll der Öffentlichkeit die Einschätzung ermöglichen, ob eher komplexe Eingriffe oder eine Grund- und Regelversorgung erbracht werden und zusammen mit der standortbezogenen Fallzahl nach Leistungsgruppen eine gezielte Suche und Vergleiche ermöglichen, ohne dabei die Krankenhausplanung oder die Vergütung der Krankenhäuser zu beeinflussen (BT-Drs. 20/8408, S. 20).

Nach § 135d Abs. 4 SGB V werden Standorte folgenden Leveln zugeordnet:

Level:
Leistungsspektrum:

1n

Basisversorgung, inklusive der Notfallmedizin

1i

Sektorenübergreifende Versorgung und in der Regel keine Notfallmedizin

2

Sicherstellung einer erweiterten Versorgung

3

Sicherstellung einer umfassenden Versorgung

3U

Besonderes Leistungsspektrum der Universitätsklinika

F

Hochspezialisierte Krankenhäuser

c) Personelle Ausstattung im Verhältnis zum Leistungsumfang

Zudem werden Informationen zur personellen Ausstattung am jeweiligen Standort, also zum vorhandenen pflegerischen und ärztlichen Personal im Verhältnis zu den jeweils gemeldeten Fallzahlen nach Leistungsgruppe, dargestellt (vgl. § 135d Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB V), um einen Vergleich mit anderen Standorten zu ermöglichen (BT-Drs. 20/8408, 21).

d) Patientenrelevante Ergebnisse aus der datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung

Darüber hinaus werden die patientenrelevanten Ergebnisse aus den Maßnahmen zur datengestützten einrichtungsübergreifenden Qualitätssicherung (vgl. § 136 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V) zusammengefasst dargestellt, um so den Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern um die bestmögliche Qualität anzuregen (BT-Drs. 20/8904, S. 29).

e) Qualitätssiegel und Zertifikate

Patientinnen und Patienten können sich auch für jeden Standort darüber informieren, welche Zertifikate und Qualitätssiegel dieser zur stationären Versorgung vorhält (vgl. § 135d Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SGB V).

f) Mindestmengenerfüllung und Notfallversorgungstufe

Zuletzt ist für jeden Standort zum einen ersichtlich, ob die beschlossenen Mindestmengen erfüllt, welche relevanten Leistungen erbracht werden (§ 135d Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB V) und ob das Krankenhaus zur Erbringung berechtigt ist (vgl. § 136b Abs. 5a SGB V). Zum anderen ist ersichtlich, ob ein Standort an dem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern (§ 135d Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 SGB V i. V. m. § 136c Abs. 4 SGB V) teilnimmt bzw. welcher Stufe der Notfallversorgung er zugeordnet ist.

II. Kritik

Am Bundes-Klinik-Atlas herrscht schon jetzt die im Folgenden nur im Überblick dargestellte öffentliche Kritik. Die aktuelle Version nehme vorweg, welche der Informationen im Einzelnen für die Entscheidung genutzt werden, anstatt alle verfügbaren Informationen darzustellen (BeckOK KHR/Dettling SGB V § 135d Rn. 6.).

Auch sei der Bundes-Klinik-Atlas keine Neuerung, denn die öffentlichen Transparenzportale (z. B. Qualitätskliniken.de) basieren schon auf Qualitätsberichten der Krankenhäuser, die eine differenzierte Bewertung der Qualität ermöglichen (BeckOK KHR/Dettling SGB V § 135d Rn. 9). Zudem ergab eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts, dass ca. 79 Prozent der Standorte mit fehlerhaften Informationen dargestellt werden, sodass die Verlässlichkeit der Informationen fraglich sind (DKI, Blitzumfrage Juni 2024: Fehlinformationen im Klinik-Atlas, S. 5 f.).

Weiter sei die Angabe von Fallzahlen ohne Berücksichtigung eines „Bruchpunktes“ wenig aussagekräftig und irreführend, denn die Annahme, höhere Fallzahlen führen automatisch zu besserer Qualität, sei nicht korrekt. Zwar steige mit der Fallzahl auch die Qualität, dieser Effekt nehme aber ab einer bestimmten Fallzahl (sog. Bruchpunkt) bis hin zur Stagnation ab. Alle Standorte, deren Fallzahlen über dem Bruchpunkt liegen, leisteten in gleichwertiger Qualität (DKG-Stellungnahme zum Entwurf der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP für ein Gesetz zur Förderung der Qualität der stationären Versorgung durch Transparenz [Krankenhaustransparenzgesetz], BT-Drucksache 20/8408 vom 22.09.2023, S. 8.).

Auch setze die Zuteilung der Standorte zu Leveln über eine Mindestanzahl von Behandlungen sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für Standorte falsche Anreize, indem der Eindruck erweckt werde, dass hochwertige medizinische Behandlungen ausschließlich in hohen Leveln möglich seien. Dies könne dazu führen, dass auch einfache Eingriffe bevorzugt in Kliniken hoher Versorgungsstufen vorgenommen würden (DKG-Stellungnahme vom 22.09.2023, S. 8). So entstünde eine Spirale, in der kleine Standorte weiter schrumpfen und große Standorte weiter wachsen, was zu einer ineffizienten Ressourcenverteilung im Gesundheitswesen führte (DKG, Pressemitteilung vom 19.10.2023, S. 1).

Zuletzt bestehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen Veröffentlichungen im Bundes-Klinik-Atlas. Veröffentlichungen von Qualitätsberichten und Leistungsdaten könnten die Berufsfreiheit aus Art. 12 Grundgesetz verletzen, die auch die freie Berufsausübung von Krankenhäusern schützt. Fehlerhafte Veröffentlichungen könnten dem Ruf und der wirtschaftlichen Existenz von Krankenhäusern schaden, indem Patientinnen und Patienten unter Umständen bestimmte Standorte meiden. Daher müssten Krankenhäuser vorab über die Prozesse informiert und in die Datenauswertung einbezogen werden. In jedem Fall müssten die Häuser derart beteiligt werden, dass sie Fehler korrigieren und Informationen ergänzen könnten (DKG, Stellungnahme vom 22.09.2023, S. 14).

III. Rechtsschutz

Die Krankenhäuser sollten daher ihre Möglichkeiten kennen, auf Veröffentlichungen im Bundes-Klinik-Atlas zu reagieren:
Den Krankenhäusern steht der Klageweg vor den Sozialgerichten offen. Für diesen Fall wurde zentral für ganz Deutschland die spezielle sachliche und örtliche Zuständigkeit des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen eingeführt (vgl. § 135d Abs. 5 SGB V i. V. m. § 29 Abs. 3 Nr. 5 SGG).

Bei unmittelbarem Handlungsbedarf können Betroffene zudem beim Landessozialgericht NRW einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b SGG stellen, um bis zur endgültigen Entscheidung schnell Schutz zu erlangen.

IV.       Ausblick

Das Ziel einer transparenten und verlässlichen Entscheidungshilfe scheint mit dem aktuellen Bundes-Klinik-Atlas noch nicht erreicht. Auch die Auswirkungen fehlerhafter Informationen werden sich erst in den kommenden Quartalen bzw. Jahren zeigen. Um präventiv handeln zu können, sollten die Krankenhäuser die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten kennen und evaluieren. Auch die Politik hat die kritischen Stimmen vernommen. Zurzeit befassen sich sowohl der Bundestag als auch das BMG mit Möglichkeiten der Fortschreibung des Bundes-Klinik-Atlas. Es bleibt abzuwarten, welchen Nutzen der Bundes-Klinik-Atlas künftig für die Öffentlichkeit und die Krankenhäuser haben wird.

Kontaktpersonen: Carmen Rösch-MockProf. Dr. Heinz-Uwe Dettling