Überblick
Die Haftung von Leitungsorganen für Kartellgeldbußen ist umstritten und bisher höchstrichterlich nicht entschieden.
Im Kern geht es um die Frage, ob Unternehmen gegen sie verhängte Bußgelder letztlich selbst zu tragen haben oder ob sie diese über Regressansprüche zumindest teilweise auf verantwortliche Personen, insbesondere das Management, abwälzen können.
Zu divergierenden Ansichten sind insoweit jüngst das LG Dortmund und das OLG Düsseldorf gekommen. Beide Gerichte haben sich in zwei ähnlich gelagerten Verfahren mit Regressansprüchen von Gesellschaften gegenüber ihren (ehemaligen) Leitungsorganen befasst. Anknüpfungspunkt ist jeweils die Haftung des Geschäftsführers bzw. Vorstandmitglieds nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG für Verstöße gegen die Legalitätspflicht.
Während sich das LG Dortmund im Rahmen eines beachtenswerten Hinweisbeschlusses (Beschluss vom 21.06.2023, 8 O 5/22 [Kart]) nach „vorläufiger Rechtsauffassung“ für die persönliche Haftung eines an einem Kartellrechtsverstoß mitwirkenden Geschäftsführers für das Unternehmensbußgeld aussprach, lehnte das OLG Düsseldorf dies nur einen Monat später mit Urteil vom 27.07.2023, VI-6 U 1/22 (Kart) ab. Das LG Dortmund ergänzte daraufhin mit Beschluss vom 14.08.2023 seinen Ausgangsbeschluss und erläuterte, warum es sich der Argumentation des OLG Düsseldorf nicht anschließt.
Vor dem Hintergrund der erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung von Kartellgeldbußen, die nicht selten hohe zwei- bis dreistellige Millionenbeträge erreichen (Tendenz steigend), lohnt sich ein vertiefter Blick auf wesentliche Erwägungen der genannten Entscheidungen:
Hinweisbeschluss des LG Dortmund
Nach Auffassung des LG Dortmund ist ein Regressanspruch der Gesellschaft gegenüber ihrem Geschäftsführer auf Ersatz von Schadenspositionen, die dadurch entstanden sind, dass der Geschäftsführer an einem der Gesellschaft zurechenbaren Kartellrechtsverstoß mitgewirkt hat, dem Grunde nach anzuerkennen. Dies umfasse auch Unternehmenskartellgeldbußen.
Durch ihre Regressfähigkeit werde die ordnungsrechtliche Sanktion nicht unterlaufen. Das Zivil- und das Ordnungswidrigkeitenrecht stünden eigenständig nebeneinander, ohne dass Letzteres das Erstere beschränken könnte. Zudem würde durch den Regress auch nicht die primäre Zahlungspflicht des bebußten Unternehmens infrage gestellt. Zu einer vollständigen Entlastung des Unternehmens komme es regelmäßig nicht, da Geldbußen aufgrund ihrer Höhe oftmals ohnehin nicht in vollem Umfang zurückerlangt werden könnten. Deckungssummen von D&O-Versicherungen – soweit diese überhaupt greifen – dürften in der Regel überschritten sein. Die Abschreckungs- bzw. Präventionsfunktion des Bußgeldes bleibe gewahrt. Auch würden keine Fehlanreize gesetzt, da hinreichende Risiken für das Unternehmen bestehen blieben. Ein Verzicht auf den Regress würde vielmehr einer gewissen Risikobereitschaft aufseiten der Geschäftsführung Vorschub leisten, durch Kartellrechtsverletzungen Vorteile unmittelbar für das Unternehmen, aber mittelbar auch für sich selbst zu generieren.
Berufungsurteil des OLG Düsseldorf
Anders lautet die Entscheidung des 6. Senats des OLG Düsseldorf. Diese bestätigte ein erstinstanzliches Urteil in einem Organhaftungsprozess gegen den ehemaligen Geschäftsführer einer GmbH und Vorstandsvorsitzenden einer AG, zweier verbundener Edelstahlunternehmen.
Nach Auffassung des OLG Düsseldorf sind Kartellgeldbußen von der Organhaftung auszunehmen und die §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 AktG insoweit teleologisch zu reduzieren.
Andernfalls würde insbesondere die dem deutschen Kartellrecht immanente Wertung, wonach getrennte Bußgelder gegen die handelnde Person und das Unternehmen selbst festgesetzt werden können, unterlaufen. Das Sanktionssystem wolle gerade das Unternehmen, nicht aber natürliche Personen nachhaltig belasten. Dies zeige sich insbesondere an den unterschiedlichen Bußgeldrahmen der einschlägigen Bußgeldnormen. Während für natürliche Personen eine Bußgeldobergrenze von 1 Million Euro gilt, liegt diese für Unternehmen bei bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes des gesamten Unternehmensverbundes (§ 81c Abs. 1, Abs. 4 GWB).
Durch den Rückgriff auf das Leitungsorgan würde zudem der Sanktionszweck des Bußgeldes gefährdet. Unternehmen könnten sich faktisch ihrer kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung entziehen. Das Argument, Kartellbußgelder seien regelmäßig so hoch, dass sie kaum vollständig ersetzt werden könnten, überzeuge insoweit nicht. Dies hänge von tatsächlichen Gegebenheiten, der jeweiligen Vermögenssituation des Geschäftsleitungsorgans und der Höhe der Unternehmensgeldbuße ab.
Da bislang keine höchstrichterliche Entscheidung zur persönlichen Haftung von Leitungsorganen für Unternehmenskartellgeldbußen ergangen ist, hat das OLG Düsseldorf die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Ergänzungen des LG Dortmund
Unter Bezugnahme auf das Urteil des OLG Düsseldorf ergänzte das LG Dortmund sodann seine bereits erteilten Hinweise. Auch nach „nochmaliger Bewertung der Sach- und Rechtslage“ teile es – zumindest im konkreten Fall – die Einschätzung des OLG weder im Ergebnis noch in der Argumentation.
Soweit das OLG Düsseldorf mit den Besonderheiten des deutschen Kartellrechts argumentiere, sei dem bereits deshalb nicht zu folgen, weil die Frage eines Bußgeldregresses nicht davon abhängen könne, ob ein nach deutschem oder europäischem Recht verhängtes Bußgeld streitgegenständlich sei. Dies würde zu zufälligen Ergebnissen führen. Hinzu käme, dass die Ablehnung des Bußgeldregresses in der Konsequenz dazu führen würde, dass Leitungsorgane nach europäischem Recht weder ein persönliches Bußgeld (da dieses im Unionskartellrecht nicht vorgesehen ist) noch den Bußgeldregress zu fürchten hätten. Dies könnte sogar zu kartellrechtswidrigen Entscheidungen verleiten.
Auch würden Sinn und Zweck der Bußgeldvorschriften keine einschränkende Auslegung der gesellschaftsrechtlichen Regressvorschriften gebieten. Dies wird vom LG Dortmund u. a. damit begründet, dass der Präventionszweck der Kartellgeldbuße nicht primär auf das Unternehmen, sondern auf die Gesellschafter und Leitungspersonen ziele. Dieser Präventionszweck würde erst recht erreicht, wenn es zum Bußgeldregress käme und die verantwortliche Person getroffen würde.
Letztlich hat das LG Dortmund erwogen, den noch laufenden Rechtsstreit teilweise auszusetzen, bis der Bundesgerichtshof über die strittige Rechtsfrage in dem vor dem OLG Düsseldorf geführten Verfahren entschieden hat.